Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich
Entscheid: SR.2021.00006 [9C_33/2024 vom 24.06.2024]

Schiedsgericht in Sozialversicherungsstreitigkeiten

des Kantons Zürich

SR.2021.00006


Sozialversicherungsrichter Vogel, leitendes Mitglied
Schiedsrichter Dietschi
Schiedsrichter Hüssy
Gerichtsschreiberin Lanzicher

Urteil vom 4. Dezember 2023

in Sachen

1.    Aquilana Versicherungen

Bruggerstrasse 46, 5401 Baden


2.    Assura-Basis SA

Avenue Charles-Ferdinand-Ramuz 70, 1009 Pully


3.    Atupri Gesundheitsversicherung

Zieglerstrasse 29, 3001 Bern


4.    Avenir Assurance Maladie SA

Rechtsdienst

Rue des Cèdres 5, Postfach, 1919 Martigny Groupe Mutuel


5.    CONCORDIA Schweizerische Kranken- und Unfallversicherung AG

Hauptsitz, Rechtsdienst

Bundesplatz 15, 6002 Luzern


6.    CSS Kranken-Versicherung AG

Hauptsitz, Abteilung Recht & Compliance

Tribschenstrasse 21, Postfach 2568, 6002 Luzern


7.    Easy Sana Krankenversicherung AG

Rechtsdienst

Rue des Cèdres 5, Postfach, 1919 Martigny Groupe Mutuel


8.    EGK Grundversicherungen AG

Birspark 1, 4242 Laufen


9.    KLuG Krankenversicherung

Gubelstrasse 22, 6300 Zug


10.    Kolping Krankenkasse AG

c/o Sympany Services AG

Peter Merian-Weg 4, 4052 Basel


11.    KPT Krankenkasse AG

Wankdorfallee 3, 3014 Bern


12.    Genossenschaft KRANKENKASSE SLKK

Hofwiesenstrasse 370, 8050 Zürich


13.    Mutuel Assurance Maladie SA

Rechtsdienst

Rue des Cèdres 5, 1920 Martigny


14.    ÖKK Kranken- und Unfallversicherungen AG

Bahnhofstrasse 13, 7302 Landquart


15.    Philos Assurance Maladie SA

Rechtsdienst

Rue des Cèdres 5, Postfach, 1919 Martigny Groupe Mutuel


16.    sana24 AG

Weltpoststrasse 19, 3015 Bern


17.    Stiftung Krankenkasse Wädenswil

Industriestrasse 15, 8820 Wädenswil


18.    SWICA Krankenversicherung AG

SWICA Gesundheitsorganisation, Rechtsdienst

Römerstrasse 38, 8401 Winterthur


19.    Visana AG

Weltpoststrasse 19/21, Postfach 253, 3000 Bern 15


20.    vivacare AG

Weltpoststrasse 19, 3015 Bern


21.    Vivao Sympany AG

Peter Merian-Weg 4, 4052 Basel


Klägerinnen


alle vertreten durch tarifsuisse ag

Römerstrasse 20, Postfach 1561, 4502 Solothurn


diese vertreten durch Rechtsanwalt Andreas Miescher

aarejura Rechtsanwälte Solothurn AG

Bielstrasse 9, Postfach 130, 4502 Solothurn


gegen


X.___ AG

Beklagte


vertreten durch Rechtsanwalt Prof. Dr. Urs Saxer

Steinbrüchel Hüssy

Grossmünsterplatz 8, 8001 Zürich


zusätzlich vertreten durch Rechtsanwältin Patrizia Gratwohl

Steinbrüchel Hüssy, Rechtsanwälte

Grossmünsterplatz 8, 8001 Zürich











Sachverhalt:

1.

1.1    Mit Eingabe vom 12. Juli 2021 erhoben verschiedene durch die tarifsuisse AG vertretene Klägerinnen Klage gegen die X.___ AG und beantragten im Wesentlichen, diese sei zur Zahlung von mindestens Fr. 1'177'038.62 für Forderungen betreffend Dringlichkeits-Inkonvenienzpauschalen F, Zeitraum 1. Juli 2016 bis 30. April 2021, an sie zu verpflichten, vorbehältlich eines Nachtrages während des Verfahrens (Urk. 1). Mit freiwilliger vorläufiger Stellungnahme vom 26. August 2021 (Urk. 6) beantragte die X.___ AG, die Klage sei abzuweisen.

1.2    Anlässlich der am 9Dezember 2021 durchgeführten Sühnverhandlung schlossen die Parteien keinen Vergleich (Protokoll S. 2), woraufhin das Verfahren fortgesetzt wurde (Verfügung vom 9. Dezember 2021, Urk. 10).

1.3    Mit Eingabe vom 12. Januar 2022 legten die Klägerinnen ihre ergänzende Klagebegründung auf und bestätigten das bereits gestellte Rechtsbegehren (Urk. 12). Die Beklagte erstattete die Klageantwort am 23. März 2022 (Urk. 16) und hielt an ihrem Antrag auf Abweisung der Klage fest. Mit Replik vom 10. Mai 2022 (Urk. 21 und Urk. 25) bestätigten die Klägerinnen das bereits gestellte Rechtsbegehren erneut und reichten am 8. Juni 2022 eine weitere Stellungnahme ein (Urk. 29). Mit Duplik vom 17. August 2022 (Urk. 33) hielt die Beklagte an ihrem bisherigen Rechtsbegehren fest.


2.

2.1    Mit Verfügung vom 22. August 2022 (Urk. 35) wurde den Parteien Gelegenheit eingeräumt, aus den sie betreffenden Untergruppen «Krankenversicherung» beziehungsweise «ärztliche Leistungen» der Liste der vom Kantonsrat gewählten Mitglieder des Schiedsgerichts je eine Schiedsrichterin oder einen Schiedsrichter vorzuschlagen.

2.2    Die Beklagte schlug mit Eingabe vom 20. September 2022 Dr. med. Daniel Hüssy als Schiedsrichter aus der sie betreffenden Untergruppe «ärztliche Leistungen» vor (Urk. 38). Die Klägerinnen schlugen mit Eingabe vom 26. September 2022 lic. iur. Reto Dietschi als Schiedsrichter aus der sie betreffenden Untergruppe «Krankenversicherung» vor (Urk. 39).

2.3    Mit Verfügung vom 3. Oktober 2022 (Urk. 40) nahm das Schiedsgericht lic. iur. Reto Dietschi aus der Untergruppe «Krankenversicherung» und Dr. med. Daniel Hüssy aus der Untergruppe «ärztliche Leistungen» als Schiedsrichter für den vorliegenden Prozess in Aussicht und setzte den Parteien eine Frist von 20 Tagen an, um gegen die in Aussicht genommenen Schiedsrichter Einwände zu erheben.

2.4    Die Parteien liessen die angesetzte Frist unbenutzt verstreichen. Mit Verfügung vom 9. Januar 2023 (Urk. 43) ernannte das Schiedsgericht lic. iur. Reto Dietschi aus der Untergruppe «Krankenversicherung» und Dr. med. Daniel Hüssy aus der Untergruppe «ärztliche Leistungen» als Schiedsrichter für den vorliegenden Prozess.

2.5    Mit Eingabe vom 27. September 2023 (Urk. 46) reichten die Klägerinnen ein teilweise geschwärztes Urteil des Schiedsgerichts in Sozialversicherungsstreitigkeiten des Kantons Bern vom 6. September 2023 (Urk. 47) ein.



Das Schiedsgericht zieht in Erwägung:

1.

1.1    Gemäss Art. 89 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (KVG) sind Streitigkeiten zwischen Versicherern und Leistungserbringern durch ein Schiedsgericht zu entscheiden. Nach § 35 des Gesetzes über das Sozialversicherungsgericht (GSVGer) beurteilt das hiesige Schiedsgericht als einzige kantonale Instanz unter anderem Streitigkeiten nach Art. 89 KVG. Das Schiedsgericht ist dem Sozialversicherungsgericht angegliedert und untersteht seiner administrativen Aufsicht (§ 36 Abs. 1 GSVGer).

1.2    Im vorliegenden Verfahren ist eine Streitigkeit zwischen einer Leistungserbringerin und mehreren Versicherungen zu beurteilen, weshalb die sachliche Zuständigkeit des Schiedsgerichts gegeben ist. Da sich die ständige Einrichtung der Beklagten im Kanton Zürich befindet, ist das hiesige Schiedsgericht auch örtlich zuständig (Art. 89 Abs. 2 KVG). Die tarifsuisse ag ist zur Vertretung der Klägerinnen gehörig bevollmächtigt (vgl. Urk. 3/1-21). Auf die Klage ist damit einzutreten.

1.3    Die Bestimmungen des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) finden gemäss Art. 1 Abs. 2 lit. e KVG beim Verfahren vor dem kantonalen Schiedsgericht (Art. 89 KVG) keine Anwendung. Das KVG schreibt vor, dass das Verfahren einfach und rasch zu sein und das Schiedsgericht die für den Entscheid erheblichen Tatsachen unter Mitwirkung der Parteien festzustellen hat, wobei es die notwendigen Beweise erhebt und in der Beweiswürdigung frei ist (Art. 89 Abs. 5 KVG). Im Übrigen richtet sich das Verfahren nach dem GSVGer§ 35-52) und ergänzend nach der Zivilprozessordnung (ZPO; § 37 i.V.m. § 28 GSVGer).

1.4    Bei Namensänderungen und Fusionen der Krankenversicherer gehen die Ansprüche der allenfalls rückforderungsberechtigten Versicherungsträger nicht einfach unter, sondern auf ihre Rechtsnachfolger über. Im Rahmen der zulässigen und von Amtes wegen vorzunehmenden Berichtigung der Parteibezeichnung ist das Rubrum entsprechend anzupassen (vgl. Urteil des Bundesgerichts K 30/05 vom 6. Oktober 2005 E. 5.2).

1.5    Einzelleistungstarife sowie auf ambulante Behandlungen bezogene Patientenpauschaltarife müssen je auf einer einzigen gesamtschweizerisch vereinbarten einheitlichen Tarifstruktur beruhen. Können sich die Tarifpartner nicht einigen, so legt der Bundesrat diese Tarifstruktur fest (Art. 43 Abs. 5 KVG). Der Bundesrat kann Anpassungen an der Tarifstruktur vornehmen, wenn sie sich als nicht mehr sachgerecht erweist und sich die Parteien nicht auf eine Revision einigen können (Abs. 5bis). Die ambulanten ärztlichen Leistungen im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung werden seit dem 1. Januar 2004 einheitlich über das Tarifsystem TARMED abgerechnet. Grundlage ist insbesondere der zwischen den Verbänden «santésuisse Die Schweizer Krankenversicherer» und «Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH)» am 5. Juni 2002 abgeschlossene Rahmenvertrag TARMED und - als Bestandteil dieses Vertrages - die Tarifstruktur TARMED. In dieser werden auf über 4'500 Tarifpositionen ärztliche und technische Leistungen erfasst. Der Bundesrat genehmigte am 15. Juni 2012 die von den Tarifpartnern vereinbarte Tarifstruktur TARMED Version 1.08. Mit Erlass der Verordnung vom 20. Juni 2014 über die Anpassung von Tarifstrukturen in der Krankenversicherung griff er erstmals selber in die Tarifstruktur ein. Auf den 1. Januar 2018 änderte er die Anpassungsverordnung und damit die Tarifstruktur TARMED erneut (vgl. dazu Urteil des Bundesgerichts 9C_476/2017 vom 29. März 2018). Stellt ein Leistungserbringer seine Leistungen nach TARMED in Rechnung, akzeptiert er auch, dass seine Leistungen in diesem Tarif abgebildet werden (Urteil des Bundesgerichts 9C_252/2011 vom 14. Juli 2011 E. 5.5).

1.6    Die TARMED-Tarifposition 00.2505 «Dringlichkeits-Inkonvenienzpauschale F bei dringlichen Konsultationen/Besuchen ausserhalb der regulären Sprechstundenzeiten, sowie Mo-Fr 19-22, Sa 7-19, sowie So 7-19» sieht folgende Dringlichkeitskriterien vor:

- medizinisch notwendig und/oder vom Patienten, Angehörigen oder Dritten als offensichtlich notwendig erachtet

- der Facharzt befasst sich spätestens innerhalb von 2 Stunden mit dem Patienten bzw. sucht ihn auf

- es wird ein direkter und unmittelbarer Arzt-Patienten-Kontakt vorausgesetzt (Ausnahme: vergebliche Fahrt zum Ereignisort)

- Besuche: zuhause, Altersheim, Ereignisort usw.

- gilt nicht für Leistungen, die im Spital erbracht werden

    Für die Entschädigung massgebend ist der Zeitpunkt des ersten, direkten und unmittelbaren Arzt-Patienten-Kontakts (Ausnahme: bei einem dringlichen Besuch gilt die Startzeit). Die Tarifposition darf nicht während einer regulären Sprechstunde (Abendsprechstunde, reguläre Sonntags-Sprechstunde) verrechnet werden. Die Behandlung von nicht angemeldeten Patienten gilt nicht generell als dringlich und berechtigt nicht generell zur Verrechnung der Dringlichkeits-Inkonvenienzpauschale F.

1.7    Nach Art. 40 lit. g des Bundesgesetzes über die universitären Medizinalberufe leisten Personen, die einen universitären Medizinalberuf in eigener fachlicher Verantwortung ausüben, in dringenden Fällen Beistand und wirken nach Massgabe der kantonalen Vorschriften in Notfalldiensten mit. Gemäss § 17 Gesundheitsgesetz (GesG) sind Ärztinnen und Ärzte verpflichtet, in einer Notfalldienstorganisation nach §§ 17a oder 17b des Gesetzes mitzuwirken. Die Standesorganisationen der Berufsgruppen organisieren die zweckmässige Leistung des Notfalldienstes (§ 17a Abs. 1 GesG). Kommt die Organisation des Notfalldienstes durch eine Standesorganisation nicht zustande, übernimmt die Direktion die Organisation. Sie kann diese Aufgabe ganz oder teilweise den Gemeinden oder Dritten übertragen (§ 17b GesG). Wer aus objektiven Gründen keinen Notfalldienst leisten kann oder für die Notfalldienstorganisation nicht benötigt wird, leistet eine zweckgebundene Ersatzabgabe (§ 17d Abs. 1 GesG).


2.

2.1    Die Klägerinnen führten zur Klagebegründung aus, die Beklagte betreibe ein Notfall- und Gesundheitszentrum und habe täglich von 7-22 Uhr geöffnet. Damit würden täglich 3 Stunden auf Abendsprechstunden nach 19 Uhr und 30 Stunden auf Wochenende fallen. Die Beklagte fakturiere eine hohe Anzahl an Dringlichkeits-Inkonvenienzpauschalen F (Tarif-Position 00.2505). Diese dürfe während einer regulären Sprechstunde aber nicht verrechnet werden. Auch wenn die Beklagte nach 19 Uhr keine Sprechstunden mit Terminen anbiete, habe sie für dringende medizinische Probleme täglich regulär von 7-22 Uhr geöffnet. Die fragliche Tarifposition könne somit nicht verrechnet werden (Urk. 1 S. 5-7). Der Beklagten sei vom 1. Juli 2016 bis 30. April 2021 die TARMED-Tarifposition 00.2505 im Umfang von total Fr. 1'177'038.62 vergütet worden. Die Tarifposition 00.2505 dürfe während einer regulären Sprechstunde (Abendsprechstunde, reguläre Sonntagssprechstunde) nicht verrechnet werden. Die Beklagte biete an 365 Tagen im Jahr reguläre Sprechstunden zwischen 7-22 Uhr an. In dieser Zeit handle es sich nicht um ungelegen kommende Behandlungen. Die Patienten würden ohne Voranmeldung bei der Beklagten vorsprechen können. Die Arbeitszeiten seien fix eingeteilt und vorhanden. Damit seien die Voraussetzungen zur Fakturierung der Dringlichkeits-Inkonvenienzpauschale F nicht erfüllt. Es fehle bei sämtlichen Fakturierungen der Tarifpositionen 00.2505 an den dazu notwendigen Voraussetzungen. Da es sich um eine tarifwidrige Fakturierung handle, seien die diesbezüglich geleisteten Vergütungen zurückzuerstatten (S. 8-12).

    In ihrer Klageergänzung bestritten die Klägerinnen, dass die Beklagte die Voraussetzungen als Notfalldienstorganisation gemäss § 17 Abs. 1 Bst. b GesG erfüllen würde. Inwiefern die Leistung von einem gesetzlichen Notfalldienst eine generelle Berechtigung zur Abrechnung der Dringlichkeits-Inkonvenienzpauschale F geben könnte, sei nicht ersichtlich. Weiter werde bestritten, dass die Beklagte durch die von ihr gewählten Öffnungszeiten Mehraufwände habe im Vergleich zu anderen Walk-In-Praxen. Inwiefern überhaupt Mehrkosten, welche nicht vom Kanton, den Gemeinden oder den Standesorganisationen getragen werden müssten, anfallen könnten, sei nicht ersichtlich. Die Übernahme des Notfalldienstes durch die Beklagte erfolge letztlich freiwillig. Insofern könne sie sich nicht darauf berufen, dass sie ihre Öffnungszeiten nicht frei wählen könne (Urk. 12 S. 4-6). Dass die Beklagte die Dringlichkeits-Inkonvenienzpauschale F ausschliesslich ab 19 Uhr bzw. an den Wochenenden verrechne und in dieser Zeit bei rund 30 % der behandelten Patienten die Dringlichkeits-Inkonvenienzpauschale F abrechne, sei von ihr zu belegen. Das Verhältnis der Dringlichkeits-Inkonvenienzpauschale F zum Gesamtjahresumsatz sowie zur Lohnsumme sei ebenfalls offenzulegen (S. 6-7).

    Im Rahmen des zweiten Schriftenwechsels hielten die Klägerinnen fest, der Versicherer habe ein eigenständiges Recht, vom Leistungserbringer ungerechtfertigt erbrachte Versicherungsleistungen zurückzufordern, unabhängig ob das Vergütungssystem des Tiers payant oder des Tiers garant anwendbar sei (Urk. 25). Eine Verwirkung werde bestritten. Aus den Rechnungen der Beklagten lasse sich weder entnehmen, um welche Uhrzeit die Leistungen erbracht worden seien, noch seien daraus die Öffnungszeiten der Leistungserbringer ersichtlich. Eine abschliessende Beurteilung sei sogar erst nach Konsultation der Arztberichte möglich. Die tarifwidrige Fakturierung sei damit erst nach einer umfassenden Abklärung überhaupt erkennbar. Sobald diese entdeckt worden sei, hätten sich die Klägerinnen bei der Beklagten schriftlich erkundigt (Urk. 21 S. 16-17). Der TARMED sei KVG-konform auszulegen. Der gesetzgeberische Wille und die KVG-konforme Auslegungsart ergäben klarerweise, dass Konsultationen im Rahmen regulärer Sprechstunden respektive eben regulärer Praxisöffnungszeiten keine Dringlichkeit bzw. Inkonvenienz darstellen und somit nicht zur Abrechnung der entsprechenden Pauschale berechtigen würden. Die Fakturierung der Dringlichkeits-Inkonvenienzpauschale F während den regulären Sprechstundenzeiten sei unzulässig (Urk. 29 S. 2).

2.2    Die Beklagte begründete ihren Antrag auf Klageabweisung damit, dass die Dringlichkeitskriterien bei allen Fällen, in denen sie die TARMED-Tarifposition 00.2505 abgerechnet habe, erfüllt gewesen seien. Gemäss Titel der TARMED-Tarifposition 00.2505 könne die Dringlichkeits-Inkonvenienzpauschale F sowohl ausserhalb der regulären Sprechstunde als auch während den angegebenen Zeiten (Mo-Fr 19-22, Sa-So 7-19 Uhr) verrechnet werden. Falle die reguläre Sprechstunde in diese Zeiten, so sei die TARMED-Tarifposition 00.2505 auch dann abrechenbar, wenn es sich um eine Abend- oder Sonntagssprechstunde handle. Bei ihr - der Beklagten - handle es sich um eine von Hausärzten geführte Notfallpraxis. Es sei erklärter Wille des Verordnungsgebers, dass solche Strukturen die Dringlichkeits-Inkonvenienzpauschale F abrechnen könnten. Sinn und Zweck dieser Pauschale sei, den mit dem Betrieb einer Notfallpraxis verursachten höheren betriebswirtschaftlichen Aufwand, wie etwa die höheren Kosten für die Entlohnung von Abend- und Wochenenddiensten, zu entschädigen. Anders als die Firma «X.___ AG» vermuten lasse, handle es sich bei ihr nicht um eine eigentliche «Permanence», sondern um eine hausärztliche Notfallpraxis. Als solche stelle sie den gesetzlich vorgeschriebenen Notfalldienst für die Region Winterthur sicher und könne - anders als eine «Permanence» im eigentlichen Sinne - ihre Öffnungszeiten nicht frei wählen. Die Voraussetzungen zur Abrechnung der Dringlichkeits-Inkonvenienzpauschale F seien erfüllt (Urk. 6 S. 5-7).

    In ihrer Klageantwort (Urk. 16) führte die Beklagte aus, die Auslegung der TARMED-Tarifposition 00.2505 zeige, dass die Dringlichkeits-Inkonvenienzpauschale F auch von Notfallpraxen wie der Beklagten abrechenbar sei. Neben dem Wortlaut des Titels ergebe sich dies auch aus den Materialien. Die Dringlichkeits-Inkonvenienzpauschale F werde nur dann abgerechnet, wenn neben dem erwähnten Zeitfenster die Dringlichkeitskriterien gemäss TARMED-Tarifposition 00.2505 erfüllt seien. Dies sei bei schätzungsweise 90 % der Notfallkonsultationen der Fall. Als hausärztliche Notfallpraxis behandle sie viele Patienten mit dringenden medizinischen Problemen, welche bereits von der Ärzteschaft der Region, dem kantonalen ärztlichen Notfalltriagetelefon, Telmed-Modellen verschiedener Krankenversicherer sowie teilweise dem regionalen Rettungsdienst vortriagiert worden seien (S. 5-8). Der Rückforderungsbetrag werde bestritten. So sei ein erheblicher Teil der geltend gemachten Rückforderung verwirkt. Eine Plausibilisierung des Betrages wäre zudem nur anhand von Angaben zum Marktanteil der Klägerinnen möglich. Der Rückforderungsanspruch könne sich zudem nur auf denjenigen Teil der Rechnungen beziehen, welcher auch tatsächlich von den Klägerinnen - und nicht von den Versicherten - bezahlt worden sei (S. 9 und S. 22). Die kantonale Organisation des Notfalldienstes sei - aus näher dargelegten Gründen - für die Leistungspflicht der Krankenversicherer unerheblich (S. 9-12). Vorliegend gehe es um die Interpretation der TARMED-Tarifregeln und nicht um die Frage, durch wen die Mehrkosten des Betriebs der hausärztlichen Notfallpraxis nachzuweisen seien. Von ihr würden denn auch keine Mehrkosten geltend gemacht. Geltend gemacht werde einzig, dass sie berechtigt sei, die Dringlichkeits-Inkonvenienzpauschale F abzurechnen, wenn die tarifarischen Notfallkriterien erfüllt seien und die ärztliche Behandlung während den angegebenen Zeiten erfolge. Die kantonal geregelte Ersatzabgabe sei nicht dafür vorgesehen, die Versicherer finanziell zu entlasten (S. 14-15). Die Beklagte habe die Dringlichkeits-Inkonvenienzpauschale F über die ganze Praxis gerechnet bei 28.7 % der Konsultationen verrechnet. Dieser Anteil erscheine allein schon durch die Arbeitszeiten, welche zu 47.8 % auf Abende, Wochenende oder Feiertage fallen würden, alles andere als hoch (S. 16-17).

    Im Rahmen des zweiten Schriftenwechsels ergänzte die Beklagte (Urk. 33), ärztliche Konsultationen am Abend, am Wochenende oder an Feiertagen würden ausserhalb der regulären hausärztlichen Sprechstundenzeiten liegen. Für die Abrechnung sei von Relevanz, ob eine Konsultation während oder ausserhalb der regulären Sprechstundenzeiten stattfinde. Der mit der Behandlung von Notfällen verbundene Mehraufwand sei gerade Grund dafür, dass im TARMED die Dringlichkeits-Inkonvenienzpauschale F vorgesehen sei. Es liege nicht an der Beklagten, diesen Mehraufwand nachzuweisen, dieser sei vielmehr bei der Festlegung der durch den Tarif vorgegebenen Vergütung zu berücksichtigen gewesen und normativ abgedeckt. Es liege auch nicht an den Klägerinnen zu bestimmen, was eine Inkonvenienz darstelle, dies liege in der Kompetenz der Tarifpartner respektive des Bundesrates als Verordnungsgeber (S. 6 und S. 8).


3.

3.1    Einleitend ist festzuhalten, dass in vorliegendem Verfahren nicht in Frage gestellt wurde, dass in denjenigen Fällen, in welchen die Beklagte die Dringlichkeits-Inkonvenienzpauschale F fakturierte, die Dringlichkeitskriterien (vgl. dazu E. 1.6 vorstehend) erfüllt waren. Hiervon ist auszugehen. Weiter bestehen keine Hinweise darauf, dass die Beklagte die Dringlichkeits-Inkonvenienzpauschale F bei Konsultationen von Montag bis Freitag von 7-19 Uhr in Rechnung gestellt hätte (vgl. dazu Urk. 33 S. 5-6 und Urk. 34/9-10). Der Umstand, dass sich der Zeitpunkt der einzelnen Konsultation nur dem jeweiligen Patientendossier entnehmen lässt, nicht aber aus der Praxissoftware ersichtlich ist, wirkt sich damit entgegen den Vorbringen der Klägerinnen (vgl. dazu Urk. 21 S. 7 und S. 12-13) nicht zu Lasten der Beklagten aus. Die Klägerinnen haben die diesbezüglich von der Beklagten erbrachten Beweise (Urk. 34/9-10) denn auch nicht angezweifelt. Zu prüfen bleibt demnach einzig, ob die Beklagte überhaupt berechtigt ist, bei Konsultationen von Montag bis Freitag von 19-22 Uhr und am Samstag und Sonntag sowie an Feiertagen die Dringlichkeits-Inkonvenienzpauschale F abzurechnen.

3.2    Gemäss Eintrag im Handelsregister betreibt die Beklagte ein Notfall- und Gesundheitszentrum (Urk. 2/3) beziehungsweise gemäss Homepage eine Notfall- und eine Hausarztpraxis (www.X.___/index.php, besucht am 12. Juli 2023). Die Notfallpraxis kann bei dringenden medizinischen Problemen ohne Voranmeldung täglich von 7-22 Uhr aufgesucht werden. Diesbezüglich ist zu präzisieren, dass es sich bei der Beklagten - anders als es der Institutionsbegriff «X.___ AG» vermuten lässt - nicht um eine eigentliche «Permanence» (im Sinne einer Walk-In-Praxis) handelt, sondern vielmehr um eine Hausarztpraxis mit regulären Sprechstundenzeiten mit integrierter, separat geführter hausärztlicher Notfallpraxis mit erweiterten Sprechstundenzeiten von 7-22 Uhr an 365 Tagen im Jahr.

    Im vorliegend eingeklagten Zeitraum rechnete die Notfallpraxis der Beklagten 139'834 Grundkonsultationen ab, wovon sie in 46'678 Fällen - also bei 33 % aller Konsultationen - eine Dringlichkeits-Inkonvenienzpauschale F fakturierte (Urk. 17/6). Die Dringlichkeits-Inkonvenienzpauschale F wird jedoch - wie bereits dargelegt - lediglich bei Konsultationen von Montag bis Freitag von 19-22 Uhr und am Samstag und Sonntag sowie an Feiertagen - also während ungefähr 45 % der potenziell möglichen Konsultationszeiten - in Rechnung gestellt. Würde angenommen, dass sich die Konsultationen gleichmässig auf die gesamten Öffnungszeiten verteilen würden, würden ungefähr 62'925 Konsultationen (0.45 x 139'834) auf das Zeitfenster Montag bis Freitag 19-22 Uhr, Samstag, Sonntag oder Feiertag fallen. Bei 46'678 fakturierten Dringlichkeits-Inkonvenienzpauschalen F entspräche dies demnach einem Anteil von 75 % der Konsultationen im genannten Zeitraum. Tatsächlich dürfte die Anzahl Konsultationen während des genannten Zeitraums aber höher und der Anteil an fakturierten Dringlichkeits-Inkonvenienzpauschalen F entsprechend tiefer liegen, ist doch davon auszugehen, dass während des genannten Zeitraums mehr Konsultationen stattfinden, als zu den restlichen Zeiten. Denn zu den restlichen Zeiten ist einerseits einem Teil der Patienten infolge Arbeitstätigkeit keine Konsultation möglich oder kann andererseits - wo vorhanden - auch der eigene Hausarzt aufgesucht werden. Weiter ist zu berücksichtigen - wie von der Beklagten nachvollziehbar dargelegt (Urk. 16 S. 8) und von den Klägerinnen nicht substantiiert bestritten (vgl. Urk. 21 S. 7) - dass während des genannten Zeitraums durch andere Ärzte eine Vortriage erfolgt und entsprechend überproportional viele Personen mit dringenden medizinischen Problemen die Notfallpraxis aufsuchen, die Häufigkeit der Fakturierung der TARMED-Tarifposition 00.2505 damit also erklärt wird. Dass die Beklagte die Dringlichkeits-Inkonvenienzpauschalen F durchgängig verrechnet, ist demnach entgegen den Ausführungen der Klägerinnen (Urk. 12 S. 5) widerlegt. Da nicht ersichtlich ist, weshalb das Verhältnis der Dringlichkeits-Inkonvenienzpauschale F zum Gesamtjahresumsatz sowie zur Lohnsumme in diesem Zusammenhang relevant sein soll, ist das entsprechende Editionsbegehren der Klägerinnen (Urk. 12 S. 6-7) abzuweisen.

3.3    Gemäss Bestätigung der Ärztegesellschaft des Kantons Zürich (Urk. 17/1) deckt die Beklagte den gesetzlich vorgeschriebenen Notfalldienst für die gesamte Region Winterthur ab und entlastet damit die Hausärzte der Region Winterthur von ihrer gesetzlichen Berufspflicht [in einer Notfalldienstorganisation mitzuwirken; vgl. dazu E. 1.7 vorstehend]. Auch der Homepage der Beklagten ist zu entnehmen, dass sie Patienten bei dringenden medizinischen Problemen im Rahmen des kantonalen ärztlichen Notfalldienstes behandelt (www.X.___.php, besucht am 12. Juli 2023). Weshalb dies nicht zulässig sein soll (vgl. Vorbringen der Klägerinnen in Urk. 12 S. 4), ist nicht nachvollziehbar, handelt es sich doch dabei nicht um eine Delegation der ärztlichen Beistandspflicht. Vielmehr werden die Ärzte der Region Winterthur dadurch von ihrer Pflicht zur Mitwirkung in einer Notfalldienstorganisation entlastet, was gegen Leistung einer zweckgebundenen Ersatzabgabe ohne Weiteres gesetzeskonform ist (E. 1.7 vorstehend). Warum die Beklagte dazu weitere Unterlagen ins Recht legen sollte, ist nicht ersichtlich, weshalb der entsprechende Editionsantrag der Klägerinnen (Urk. 12 S. 4, vgl. auch Urk. 21 S. 9) abzuweisen ist. Bei den Öffnungszeiten der Beklagten (vgl. dazu auch Ziff. 2.2.1 des Reglements für die Organisation des ambulanten ärztlichen Notfalldienstes im Kanton Zürich der Ärztegesellschaft des Kantons Zürich [Urk. 17/2] i.V.m. Ziff. 4.1.1 von dessen Ausführungsreglement [Urk. 17/3]) handelt es sich somit nicht um freiwillig gewählte, reguläre Sprechstundenzeiten, vielmehr kommt die Beklagte damit einer gesetzlichen Vorgabe nach. Entgegen den Ausführungen der Klägerinnen (Urk. 12 S. 4) behauptete die Beklagte zudem nicht, dass sie deshalb generell berechtigt wäre, die Dringlichkeits-Inkonvenienzpauschale F abzurechnen, vielmehr rechnet sie diese Tarifposition - wie bereits dargelegt - nur ausserhalb der üblichen hausärztlichen Sprechstundenzeiten ab und auch in diesen Fällen lediglich wenn die Dringlichkeitskriterien erfüllt sind. Wäre die Organisationsform einer Arztpraxis Kriterium für die Berechtigung zur Abrechnung der Dringlichkeits-Inkonvenienzpauschale F, so hätte dies überdies im TARMED-Tarif festgehalten werden können, was nicht der Fall ist. Die Organisationsform ist entsprechend in diesem Zusammenhang nicht von Belang, weshalb der Beklagten die Berechtigung zur Fakturierung der genannten Pauschale nicht schon alleine deshalb abgesprochen werden kann, weil sie eine Notfallpraxis ist.

3.4    Gemäss Wortlaut des Titels der TARMED-Tarifposition 00.2505 darf diese Position bei dringlichen Konsultationen von Montag bis Freitag 19-22 Uhr sowie am Samstag und Sonntag von 7-19 Uhr abgerechnet werden. Dies jedenfalls, sofern es sich bei diesen Zeiten nicht um reguläre Sprechstunden handelt (E. 1.6 vorstehend). Von regulären Sprechstunden kann bei der Notfallpraxis der Beklagten jedoch gerade nicht gesprochen werden, können doch bei ihr für eine Konsultation überhaupt keine Sprechstunden vereinbart werden. Zudem variieren die Wartezeiten je nach Patientenaufkommen/Behandlungsdringlichkeit und findet die Behandlung nicht durch einen im Voraus bekannten Arzt, sondern durch denjenigen Arzt statt, welcher über freie Kapazität verfügt, was sich alles von einer regulären Sprechstunde im Rahmen einer normalen Hausarztkonsultation unterscheidet. Hinzu kommt, dass gemäss den Ausführungen des Bundesamtes für Gesundheit zur Änderung der Verordnung über die Festlegung und die Anpassung von Tarifstrukturen in der Krankenversicherung von Oktober 2017 (Urk. 7) der Samstagvormittag von 7-12 Uhr (ebenso wie der Samstagnachmittag von 12-19 Uhr sowie der Sonntag von 7-19 Uhr) ausserhalb der regulären Sprechstundenzeiten liegt, was bei einer dringlichen Konsultation in diesem Zeitfenster zur Abrechnung der TARMED-Tarifposition 00.2505 berechtigt. Sinn und Zweck dieser Regelung ist zu verhindern, dass Akutpatienten am Samstagvormittag (oder
-nachmittag oder Sonntag) von den Arztpraxen bzw. von den dem Spital vorgelagerten und von Hausärzten geführten Notfallpraxen direkt in den Spitalnotfall geschickt werden (vgl. S. 14), was gegen die klägerische Interpretation des Tarifpostens spricht. Auch aus der Tarifinterpretation, wonach die Behandlung von nicht angemeldeten Patienten nicht generell als dringlich gilt (E. 1.6 vorstehend), können die Klägerinnen nichts zu ihren Gunsten ableiten, denn umgekehrt heisst dies, dass die dringliche Behandlung von nicht angemeldeten Patienten zur Abrechnung berechtigt, dies jedenfalls ausserhalb der regulären Sprechstundenzeiten sowie von Montag bis Freitag 19-22 Uhr und am Samstag und Sonntag von 7-19 Uhr. Der Bericht des Bundesrates zu TARDOC (vgl. dazu Urk. 29 und Urk. 30/16-18) ist vorliegend nicht von Belang, äussert er sich doch zu Dringlichkeiten während den normalen Sprechstundenzeiten, wohingegen die TARMED-Tarifposition 00.2505 vorliegend nicht während regulären Sprechstunden der Beklagten fakturiert wurden. Die Tarifstruktur TARDOC wurde vom Bundesrat im Übrigen nicht genehmigt. Auch aus diesem Grund ist nicht ersichtlich, inwiefern daraus Rückschlüsse auf das vorliegende Verfahren gezogen werden können.

3.5    Soweit die Klägerinnen geltend machten, bei den Behandlungen durch die Beklagte handle es sich nicht um Inkonvenienzen, welche zusätzlich abgegolten werden müssten, kann ihnen nicht gefolgt werden. So ist nicht ersichtlich, weshalb ein Hausarzt, der in seiner eigenen Praxis am Sonntag Patienten behandelt, bessergestellt werden soll als ein Hausarzt, der in den Räumlichkeiten der Beklagten am Sonntag Patienten behandelt, findet doch für beide die Behandlung ausserhalb der Sprechstundenzeiten ab. Die Dringlichkeit der Behandlung eines neu die Praxis der Beklagten aufsuchenden Patienten kann zudem für die Beklagte ebenfalls zu einer Inkonvenienz führen, müssen doch bei einer allenfalls vorgezogenen Behandlung dieses Patienten andere Patienten länger warten, was im Wartebereich einen erhöhten Informationsaufwand seitens der Beklagten erforderlich macht, um Verständnis für die notfallmässig, medizinisch notwendig gewordenen Umstellungen in der Patientenreihenfolge zu erzielen. Der Nachweis einer Inkonvenienz ist aber für die Zulässigkeit der Abrechnung der TARMED-Tarifposition 00.2505 ohnehin nicht erforderlich, weshalb sich Weiterungen hierzu erübrigen. Auch Mehrauslagen müssen nicht nachgewiesen werden, um die TARMED-Tarifposition 00.2505 verrechnen zu dürfen. Warum die Arbeitsverträge, Arbeitspläne und ähnliche Unterlagen der Beklagten von Belang sein sollten, ist entsprechend nicht ersichtlich, weshalb die diesbezüglich von den Klägerinnen beantragte Edition (Urk. 12 S. 5-6, vgl. dazu auch Urk. 21 S. 11) nicht angezeigt ist. Darauf hinzuweisen ist lediglich, dass die Dringlichkeits-Inkonvenienzpauschale F nicht dieselben Kosten abzudecken hat wie die zweckgebundene Ersatzabgabe nach § 17d Abs. 1 GesG. Letztere ist nach den Vorgaben von § 17f GesG zu verwenden, wohingegen mit der Dringlichkeits-Inkonvenienzpauschale F beispielsweise höhere Lohnauslagen infolge Abend-, Wochenend- und Feiertagsarbeit beglichen werden können.

3.6    Zusammenfassend ist die Beklagte berechtigt, bei Behandlungen von Montag bis Freitag von 19-22 Uhr und am Samstag und Sonntag sowie an Feiertagen die Dringlichkeits-Inkonvenienzpauschale F abzurechnen, sofern die Dringlichkeitskriterien erfüllt sind, was - wie bereits dargelegt - unstrittig ist.

    Das von den Klägerinnen nachträglich eingereichte Urteil des Schiedsgerichts in Sozialversicherungsstreitigkeiten des Kantons Bern vom 6. September 2023 (Urk. 47) betrifft soweit ersichtlich nicht denselben Sachverhalt und ist im Übrigen für das hiesige Schiedsgericht nicht bindend, weshalb sich Weiterungen hierzu erübrigen.

3.7    Abschliessend ist festzuhalten, dass davon auszugehen ist, dass ein gewisser Anteil der von der Beklagten in Rechnung gestellten Dringlichkeits-Inkonvenienzpauschalen F nicht von den Klägerinnen, sondern aufgrund ihrer Franchise von den Versicherten getragen wurden. Ob die Klägerinnen überhaupt berechtigt sind, diesbezüglich eine Rückforderung an sie selbst zu verlangen, kann bei vorliegendem Verfahrensausgang jedoch letztlich ebenso offenbleiben wie die Frage, ob die Klägerinnen die von der Hausarztpraxis der Beklagten - unbestritten zu Recht - fakturierten Dringlichkeits-Inkonvenienzpauschalen F von der eingeklagten Rückforderungssumme hätten in Abzug bringen müssen und ob ihre Klage aufgrund der diesbezüglichen Unterlassung überhaupt als hinreichend substantiiert qualifiziert werden kann. Ebenso kann offenbleiben, ob die Klage vom 12. Juli 2021 bezüglich der vor dem 1. Januar 2020 beglichenen Rechnungen rechtzeitig erhoben wurde oder ob dieser Teil der Forderung der Klägerinnen bereits verwirkt ist.

    Die Klage ist nach dem Gesagten abzuweisen.


4.

4.1    Gemäss § 52 GSVGer richtet sich die Bemessung der Kosten- und Entschädigungsfolgen nach den Bestimmungen der ZPO. In Anwendung von Art. 96 ZPO sowie der §§ 4 Abs. 1 und 13 Abs. 1 der Gebührenverordnung des Obergerichts ist bei einem Streitwert von Fr. 1'177'038.62 die Gerichtsgebühr auf
Fr. 32'000.-- festzusetzen und den unterliegenden Klägerinnen aufzuerlegen.

4.2    Gemäss Art. 95 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 106 Abs. 1 ZPO hat das Gericht zu Lasten der unterliegenden Partei eine Parteientschädigung festzusetzen. In Anwendung von Art. 96 ZPO sowie von § 4 Abs. 1 der Verordnung über die Anwaltsgebühren (AnwGebV) ist bei einem Streitwert von Fr. 1'177'038.62 eine Grundgebühr von Fr. 33‘170.40 (Fr. 31‘400.-- zuzüglich 1 % des Fr. 1‘000'000.-- übersteigenden Streitwerts) festzusetzen. Gründe für eine Anpassung der Gebühr gestützt auf § 4 Abs. 2 AnwGebV bestehen nicht. Hingegen ist gestützt auf § 11 Abs. 2 für die Durchführung des zweiten Schriftenwechsels ein Einzelzuschlag von einem Drittel der Grundgebühr gerechtfertigt. Die unterliegenden Klägerinnen sind somit zu verpflichten, der Beklagten eine Parteientschädigung von Fr. 44000.-- (inkl. Auslagen und MWST) zu bezahlen.


5.    Eine Minderheit des Gerichts hat ihre abweichende Meinung zu Protokoll gegeben (Urk. 48).



Das Schiedsgericht erkennt:

1.    Die Klage wird abgewiesen.

2.    Die Gerichtskosten von Fr. 32'000.-- werden den Klägerinnen auferlegt. Rechnung und Einzahlungsschein werden den Kostenpflichtigen nach Eintritt der Rechtskraft zugestellt.

3.    Die Klägerinnen werden verpflichtet, der Beklagten eine Parteientschädigung von Fr. 44000.-- (inkl. Barauslagen und MWST) zu bezahlen.

4.    Zustellung gegen Empfangsschein an:

- Rechtsanwalt Andreas Miescher unter Beilage einer Kopie von Urk. 48

- Rechtsanwältin Patrizia Gratwohl unter Beilage je eines Doppels von Urk. 46 und Urk. 47 sowie unter Beilage einer Kopie von Urk. 48

- Bundesamt für Gesundheit unter Beilage einer Kopie von Urk. 48

- Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich unter Beilage einer Kopie von Urk. 48

sowie an:

- Gerichtskasse (im Dispositiv nach Eintritt der Rechtskraft)

5.    Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit der Zustellung beim Bundesgericht Beschwerde eingereicht werden (Art. 82 ff. in Verbindung mit Art. 90 ff. des Bundesgesetzes über das Bundesgericht, BGG). Die Frist steht während folgender Zeiten still: vom siebenten Tag vor Ostern bis und mit dem siebenten Tag nach Ostern, vom 15. Juli bis und mit dem 15. August sowie vom 18. Dezember bis und mit dem 2. Januar (Art. 46 BGG).

    Die Beschwerdeschrift ist dem Bundesgericht, Schweizerhofquai 6, 6004 Luzern, zuzustellen.

    Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift der beschwerdeführenden Partei oder ihrer Rechtsvertretung zu enthalten; der angefochtene Entscheid sowie die als Beweismittel angerufenen Urkunden sind beizulegen, soweit die Partei sie in Händen hat (Art. 42 BGG).



Schiedsgericht in Sozialversicherungsstreitigkeiten des Kantons Zürich


Das leitende MitgliedDie Gerichtsschreiberin




VogelLanzicher