Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich
Entscheid: KK.2020.00028

Sozialversicherungsgericht

des Kantons Zürich

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KK.2020.00028






II. Kammer

Sozialversicherungsrichterin Grieder-Martens, VorsitzendeSozialversicherungsrichterin SagerErsatzrichterin LienhardGerichtsschreiberin Barblan

Urteil vom 15. Juli 2021

in Sachen

X.___

Klägerin

vertreten durch Rechtsanwalt Christoph Birgelen

Birgelen Wehrli Rechtsanwälte

Zollikerstrasse 27, Postfach 56, 8032 Zürich

gegen

SWICA Krankenversicherung AG

SWICA Gesundheitsorganisation, Rechtsdienst

Römerstrasse 38, 8401 Winterthur

Beklagte

Sachverhalt:

1.    Y.___ sel. (nachfolgend: Versicherter), geboren 1945, war im Jahr 2019 bei der SWICA Krankenversicherung AG (nachfolgend: SWICA) unter anderem mit der Zusatzversicherung «HOSPITA PRIVAT WELTWEIT» gemäss dem Bundesgesetz über den Versicherungsvertrag (VVG) versichert (vgl. Urk. 9/1). Er verstarb am 23. Dezember 2019.

    Am 21. November 2019 (Urk. 2/6) hatte das Spital Z.___ die SWICA um Kostengutsprache ersucht, nachdem der Versicherte dort ab dem 20. November 2019 auf der privaten Abteilung hospitalisiert war. Am 22. November 2019 (Urk. 2/7 = Urk. 9/3) erteilte die SWICA dem Z.___ Kostengutsprache bis 27. November 2019, unter Vorbehalt von - näher angeführten - Bestimmungen der Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB). Am 25. November 2019 bestätigte sie die Kostengutsprache zuhanden des Versicherten (Urk. 2/8). Nach Erhalt der Rechnung des Z.___ vom 13. Januar 2020 in der Höhe von Fr. 27'460.-- für den stationären Aufenthalt des Versicherten vom 20. November bis 17. Dezember 2019 (Urk. 2/9 = Urk. 9/5) und nach Eingang der beim Z.___ eingeholten medizinischen Unterlagen (vgl. Urk. 9/14) lehnte die SWICA mit Schreiben vom 23. Januar 2020 (Urk. 2/10 = Urk. 9/7) eine Übernahme der Kosten unter Hinweis auf Art. 8 Ziff. 12 AVB ab, da es sich um eine Heilbehandlung infolge missbräuchlichen Konsums von Arzneimitteln, Drogen und Alkohol und deren Auswirkungen gehandelt habe. Dagegen erhob X.___ in ihrer Funktion als Willensvollstreckerin im Nachlass des Versicherten (vgl. Urk. 9/4) am 30. Januar 2020 Einwand (Urk. 2/11 = Urk. 9/8). Nach Einholung weiterer Unterlagen und Konsultation ihres Vertrauensarztes hielt die SWICA mit Schreiben vom 15. April 2020 (Urk. 2/12 = Urk. 9/17) an ihrem abschlägigen Entscheid fest.

2.    Am 12. Mai 2020 erhob X.___ Klage gegen die SWICA und beantragte, es sei die Beklagte zu verpflichten, die Kosten für den Spitalaufenthalt des Versicherten im Z.___ vom 20. November bis 17. Dezember 2019 im Umfang von Fr. 27'460.-- zu bezahlen. Die SWICA beantragte mit Klageantwort vom 18. September 2020 (Urk. 8) die Abweisung der Klage.

    Mit Verfügung vom 8. Dezember 2020 (Urk. 10) wurde den Parteien Frist angesetzt, um eine schriftliche Mitteilung zu machen, falls eine Hauptverhandlung gewünscht wird, mit dem Hinweis, dass im Säumnisfall Verzicht angenommen und ein zweiter Schriftenwechsel angeordnet wird. Nach Ausbleiben einer entsprechenden Mitteilung hielten die Parteien in der jeweils fristgemäss (vgl. Urk. 13-14, Urk. 18-19) erstatteten Replik vom 17. Februar 2021 (Urk. 16) und Duplik vom 8. April 2021 (Urk. 20) an ihren Anträgen fest. Die Duplik wurde der Klägerin am 19. April 2021 zur Kenntnis gebracht (Urk. 21).

Das Gericht zieht in Erwägung:

1.

1.1    Zusatzversicherungen zur sozialen Krankenversicherung nach dem Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG) unterstehen nach Art. 12 Abs. 3 KVG dem VVG. Streitigkeiten aus solchen Versicherungen sind privatrechtlicher Natur (BGE 138 III 2 E. 1.1). Die Kantone können ein Gericht bezeichnen, welches als einzige kantonale Instanz für solche Streitigkeiten zuständig ist (Art. 7 der Schweizerischen Zivilprozessordnung; ZPO). Im Kanton Zürich liegt die Zuständigkeit beim Sozialversicherungsgericht (§ 2 Abs. 2 lit. b des Gesetzes über das Sozialversicherungsgericht, GSVGer). Das Verfahren richtet sich nach Art. 243 ff. ZPO (vereinfachtes Verfahren; Art. 243 Abs. 2 lit. f ZPO). Die Klage wird direkt beim Gericht anhängig gemacht (BGE 138 III 558 E. 3.2 und 4.6).

    Die sachliche und örtliche Zuständigkeit des hiesigen Gerichts zur Beurteilung der eingereichten Klage ist unstreitig gegeben (vgl. Urk. 9/2 S. 14 Art. 23 Ziff. 2).

1.2    Nach der Rechtsprechung (BGE 116 II 131 E. 2 und E. 3a) steht einem mit der Verwaltung der Erbschaft im Sinne von Art. 518 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB) betrauten Willensvollstrecker an Stelle des materiell Berechtigten die aktive oder passive Prozessführungsbefugnis im eigenen Namen und als Partei zu. Die Aktivlegitimation der Klägerin ist unbestrittenermassen zu bejahen.

1.3    Als Teil des Privatrechts räumt das VVG den Parteien weitgehende Vertragsfreiheit ein, solange sie die Schranken der Rechtsordnung beachten. Der Vertragsinhalt richtet sich häufig nach vorformulierten AVB (Michael Iten, Der private Versicherungsvertrag: Der Antrag und das Antragsverhältnis, unter Ausschluss der Anzeigepflicht, Freiburg, 1999, S. 23 N 72). Das Schweizerische Obligationenrecht (OR) gilt immer subsidiär, wenn das VVG - das hinsichtlich des (Zusatz-)Versicherungsvertrages zahlreiche vom OR abweichende oder dieses ergänzende Bestimmungen enthält - eine Frage nicht regelt (vgl. Art. 100 Abs. 1 VVG).

1.4    Vorformulierte Vertragsbestimmungen sind grundsätzlich nach den gleichen Regeln wie individuell verfasste Vertragsklauseln auszulegen. So erfolgt denn auch bei den allgemeinen Versicherungsbedingungen die Ermittlung des mutmasslichen Parteiwillens nach dem Vertrauensgrundsatz. Dabei hat das Gericht vom Wortlaut auszugehen und zu berücksichtigen, was sachgerecht erscheint. Es orientiert sich dabei am dispositiven Recht, weil derjenige Vertragspartner, der dieses verdrängen will, das mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck bringen muss. Schliesslich und subsidiär müssen mehrdeutige Klauseln nach der Unklarheitsregel gegen den Versicherer als deren Verfasser ausgelegt werden (BGE 122 III 118 E. 2a).

2.

2.1    Unstrittig und aufgrund der Akten ausgewiesen ist, dass der Versicherte im Zeitpunkt der Hospitalisation im Z.___ vom 20. November bis 17. Dezember 2019 bei der Beklagten die Zusatzversicherung «HOSPITA PRIVAT WELTWEIT» führte, welche unter anderem die Kosten in der privaten Abteilung weltweit in allen Spitälern trägt (vgl. die ab 1. Januar 2019 gültige Versicherungspolice, Urk. 9/1). Auf die infrage stehende Zusatzversicherung sind sodann unbestrittenermassen die AVB und Zusatzbedingungen (ZB), Ausgabe 2013 (Urk. 9/2), anwendbar.

    Strittig und zu prüfen ist, ob die Beklagte die Kosten von Fr. 27'460.-- für den stationären Aufenthalt des Versicherten in der privaten Abteilung des Z.___ zu übernehmen hat, und in diesem Zusammenhang, ob Art. 8 Ziff. 12 der AVB für Versicherungen nach VVG (Urk. 9/2 S. 12 ff., vgl. auch Urk. 2/2; nachfolgend: AVB VVG) zum Tragen kommt (vgl. Urk. 1 S. 5 Ziff. 15, Urk. 8 S. 4 oben). Gemäss dieser - auch in der Kostengutsprache vom 22. November 2019 (Urk. 2/7) vorbehaltenen - Bestimmung erbringt die Beklagte aus den Zusatzversicherungen keine Versicherungsleistungen für Heilbehandlungen infolge missbräuchlichen Konsums von Arzneimitteln, Drogen und Alkohol. Festgehalten wird, dass der Missbrauch dieser Suchtmittel ausdrücklich nicht als Krankheit gelte und für die Beklagte keine Leistungspflicht auslöse.

2.2    Die Klägerin stellte sich auf den Standpunkt (Urk. 1), der Versicherte habe weder missbräuchlich Alkohol konsumiert, noch sei die infrage stehende Behandlung infolge missbräuchlichen Konsums erfolgt (vgl. Ziff. 15). Bereits der Konsum legaler Substanzen könne keinen Missbrauch darstellen. Nur weil sich durch den (allenfalls auch risikoreichen) Alkoholkonsum (potentiell) gesundheitliche Schädigungen ergeben könnten, könne daraus kein Missbrauch abgeleitet werden, ebenso wenig wie «risikoreich» mit «missbräuchlich» gleichgesetzt werden könne (Ziff. 16). Die Behandlung im Z.___ sei offensichtlich nicht aufgrund eines einmaligen Alkoholmissbrauchs (zum Beispiel im Rahmen einer Alkoholvergiftung) erfolgt und dem Versicherten könne auch kein andauernder missbräuchlicher Alkoholkonsum nachgewiesen werden, welcher Ursache gewesen sei für die Hospitalisierung beziehungsweise die gesundheitlichen Schäden, welche zur Hospitalisierung geführt hätten. Von den Folgen eines «persistierenden Alkoholkonsums», namentlich unter anderem einer Leberzirrhose, könne nicht einfach im Umkehrschluss auf den missbräuchlichen andauernden Alkoholkonsum geschlossen werden. Solche gesundheitlichen Folgen könnten ganz generell beim Alkoholkonsum auftreten, ohne dass dieser missbräuchlich gewesen sein müsse (S. 6 f. Ziff. 17). Eine Heilbehandlung infolge missbräuchlichen Alkoholkonsums liege nicht vor, denn der Versicherte sei infolge eines Stolpersturzes und einer Allgemeinzustandsverschlechterung hospitalisiert worden. Die darauffolgende Diagnose habe unter anderem (vermutlich) mit dem Alkoholkonsum in medizinischem Zusammenhang stehende Krankheitsbilder ergeben, welche auch behandelt worden seien. Gemäss Austrittsbericht des Z.___ seien aber auch andere «multiple Komorbiditäten» festgestellt worden (S. 7 f. Ziff. 18). Der Gesundheitszustand des Versicherten sei auch in den Jahren davor äusserst schlecht und dies der Beklagten bekannt gewesen, zumal sie die Kosten früherer Behandlungen vorbehaltlos übernommen habe. Die langjährige Krankheitsgeschichte zeige, dass es sich um einen «normalen» Krankheitsverlauf gehandelt habe und nicht um direkte, unmittelbare Folgen eines Alkoholmissbrauchs (S. 8 f. Ziff. 19 f.).

2.3    Die Beklagte machte demgegenüber (Urk. 8) geltend, als Hauptdiagnose für die Hospitalisierung werde im Austrittsbericht des Z.___ eine dekompensierte äthyltoxische Leberzirrhose angeführt. Sodann werde eine chronische Alkoholabhängigkeitserkrankung diagnostiziert (S. 5 Mitte). Bereits aus dem Begriff «äthyltoxisch» ergebe sich eindeutig, dass die für den stationären Aufenthalt verantwortliche Leberzirrhose Folge eines Alkoholabusus gewesen sei und damit auf einem missbräuchlichen Konsum von Alkohol basiert habe. Die meisten Fälle von Leberzirrhose entstünden durch Alkoholmissbrauch (S. 5 unten). Es sei auf die medizinische Beurteilung durch den Vertrauensarzt abzustellen, gemäss welcher ein klarer Zusammenhang zwischen der Hospitalisation und dem missbräuchlichen Konsum von Alkohol vorliege (S. 6 Ziff. 3). Zudem werde im Austrittsbericht eine «Substanzabhängigkeit Alkohol» sowie ein hepatorenales Syndrom und damit eine Form von akutem Nierenversagen, welches bei schweren und fortgeschrittenen Erkrankungen der Leber auftrete, erwähnt. Sämtliche medizinischen Leistungen hätten im Zusammenhang mit der äthyltoxischen Leberzirrhose gestanden. Auch gehe aus der gestellten Diagnose einer chronischen Alkoholabhängigkeitserkrankung eindeutig hervor, dass ein missbräuchlicher Alkoholkonsum vorgelegen habe (S. 6 f. Ziff. 4). Bei den 2015 beziehungsweise 2017 übernommenen Heilbehandlungskosten hätten Herzprobleme im Vordergrund gestanden. Dass bereits damals die Leberzirrhose diagnostiziert worden sei, zeige, dass es sich um einen langjährigen, übermässigen und persistierenden Alkoholkonsum gehandelt habe (S. 7 Ziff. 5).

2.4    Replikweise (Urk. 16) bestritt die Klägerin vorab die Gültigkeit von Art. 8 Ziff. 12 AVB VVG mit der Begründung, dass insbesondere in Bezug auf den Konsum von Alkohol, bei welchem es sich um eine legale Substanz handle, aufgrund des Wortlauts der fraglichen AVB-Bestimmung nicht eindeutig festgestellt werden könne, wann ein Missbrauch vorliegen solle beziehungsweise was konkret einen Missbrauch im Sinne dieser Bestimmung darstelle (S. 2 f. Ziff. 5). Sei von der grundsätzlichen Gültigkeit der Bestimmung auszugehen, sei sie im Gesamtkontext von Art. 8 AVB VVG zu lesen, womit ersichtlich werde, dass mit dem Konsum eine unmittelbare gesundheitliche Schädigung – zum Beispiel eine Alkoholvergiftung infolge Rauschtrinkens, eine Verletzung infolge Trunkenheit, eine Behandlung aufgrund übermässigen Arzneimittel- beziehungsweise Drogenkonsums - zumindest in Kauf genommen werden müsse. Langzeitfolgen des nicht missbräuchlichen Konsums könnten nicht unter die fragliche AVB-Bestimmung fallen (S. 3 f. Ziff. 7 f.). Die von der Beklagten erwähnten Diagnosen seien nicht der unmittelbare Auslöser für die Hospitalisation gewesen, sondern der Stolpersturz und die Allgemeinzustandsverschlechterung. Sodann spreche gerade die Diagnose einer chronischen Alkoholabhängigkeitserkrankung gegen einen Missbrauch im vorliegend relevanten Sinn (S. 4 f. Ziff. 11). Weshalb sich aus der Diagnose einer äthyltoxischen Leberzirrhose im Umkehrschluss «eindeutig» ergeben solle, dass diese auf einen missbräuchlichen Konsum von Alkohol zurückzuführen sei, könne nicht nachvollzogen werden und werde von der Beklagten auch nicht weiter begründet. Bereits im Jahr 2017 sei beim Versicherten eine vorbekannte äthyltoxische Leberzirrhose diagnostiziert worden, womit die Ereignisse Ende 2019 nachweislich nicht unmittelbare Folge eines vorhergehenden missbräuchlichen Alkoholkonsums gewesen sein könnten (S. 5 Ziff. 12). Weiter stellte die Klägerin die Unabhängigkeit des Vertrauensarztes in Frage und legte dar, dass dieser in Bezug auf die Konsummenge fälschlicherweise von 3.5 Litern statt Dezilitern Wein pro Tag ausgegangen sei. Der Konsum des Versicherten habe an der unteren Grenze von «chronisch risikoreichem Alkoholkonsum» gelegen, womit er sich – wie bereits in der Klage unter Hinweis auf das Faktenblatt des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) über den Alkoholkonsum in der Schweiz im Jahr 2016 (vgl. Urk. 2/13; nachfolgend: Faktenblatt des BAG) dargelegt - mit etwa einem Fünftel der Bevölkerung in guter Gesellschaft befunden habe. Von einem Missbrauch könne unter diesen Umständen nicht die Rede sein. Mit der vertrauensärztlichen Stellungnahme sei ein Missbrauch seitens des Versicherten nicht nachgewiesen (S. 6 f. Ziff. 15). Es werde bestritten, dass von einer Substanzabhängigkeit auf einen Missbrauch geschlossen werden könne (S. 7 Ziff. 17). Die von der Beklagten heute als unmittelbarer Missbrauch von Alkoholkonsum dargestellten Leiden hätten bereits über viele Jahre bestanden, in Bezug auf die Leberzirrhose wohl als Folge des langjährigen Alkoholkonsums, was aber eben nicht mit einem Missbrauch gleichgesetzt werden könne (S. 8 Ziff. 21).

2.5    In der Duplik (Urk. 20) verwies die Beklagte vollumfänglich auf ihre Ausführungen in der Klageantwort.

3.

3.1    Im Kostengutsprachegesuch des Z.___ vom 21. November 2019 (Urk. 2/6) wurde als Eintrittsdiagnose «R2» genannt. Gemäss den diagnostischen Leitlinien der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) erfassen die Codierungen R20-R23 Symptome, die die Haut und das Unterhautgewebe betreffen (vgl. auch Urk. 9/17 S. 1 unten).

3.2    Im Austrittsbericht (Zusammenfassung der Krankengeschichte) vom 16. Dezember 2019 (Urk. 2/5; vgl. auch Urk. 9/14) nannten die Ärzte des Z.___ folgende Diagnosen (S. 1):

- dekompensierte äthyltoxische Leberzirrhose CHILD C (11 Punkte), MELD-Score 25 Punkte

- mit portaler Hypertension und vier grossen distalen Ösophagusvarizen mit Einengung des Lumen, Gastroskopie 20. November 2019

- bei akuter Pfortaderthrombose

- bei hochgradigem Verdacht auf HCC in Lebersegment 3 (2.5 cm), AFP 2.0µg/l

- Hepatitis-Serologien negativ

- hepatorenales Syndrom mit akut auf chronische Niereninsuffizienz, AKIN 1, CKD G3a

- September 2019 Baseline-Kreatinin 125µmol/l

- grosse, bisher asymptomatische Aneurysmata der abdominalen Aorta (max. 98mm), Erstdiagnose 21. November 2019

- chronische Alkoholabhängigkeitserkrankung

- persistierender Konsum von etwa 3.5 dl Wein täglich (vgl. Kurzaustrittsbericht vom 13. Dezember 2016, enthalten in Urk. 9/14)

- COPD GOLD 2-3

- persistierender Nikotinkonsum, insgesamt 40 py

- koronare Herzkrankheit

- 3. September 2015 Aortenklappenersatz bei Aortenstenose und ACBP, postoperative Perikardtamponade

- September 2015 LVEF 60 %

- paroxysmales Vorhofflimmern

- September 2015 Pulmonalvenenisolation und Ligatur des linken Vorhofs mit Clip

- Januar 2015 EKV mit anschliessendem Sinusrhythmus

    Zur Epikrise führten die Ärzte aus, der Versicherte sei notfallmässig mit der Ambulanz zugewiesen worden nach Betätigung des Notfallknopfes nach Stolpersturz im häuslichen Umfeld sowie Allgemeinzustandsverschlechterung seit einigen Tagen mit Bauch- und Beinumfangsvermehrung über die letzten Tage (S. 1 unten). Nach Ausschluss einer spontan bakteriellen Peritonitis seien unter anderem acht Liter Aszites abgelassen worden. Eine Verbesserung der deutlich eingeschränkten Nierenfunktion habe mit der eingeleiteten (näher dargelegten) Therapie nicht erzielt werden können. Als Ursache des Aszites sei bei hohem Serum-Aszites-Albumin-Gradienten die Leberzirrhose mit akuter Pfortaderthrombose und portaler Hypertension gesehen worden. Am 4. Dezember 2019 seien erneut etwa sieben Liter Aszites abgelassen worden, weiterhin ohne Hinweise für eine spontan bakterielle Peritonitis (S. 2 oben). Das interdisziplinäre Tumorboard vom 4. Dezember 2019 habe bei diesen multiplen Komorbiditäten die Empfehlung einer best-supportive Care-Therapie ergeben. Der Versicherte habe eine rein symptomatische Komforttherapie gewünscht und sei schliesslich am 17. Dezember 2019 ins Pflegezentrum A.___ verlegt worden.

3.3    Am 9. April 2020 (Urk. 9/15 S. 2) nahm Dr. med. B.___, Facharzt für Allgemeine Innere Medizin, Vertrauensarzt der Beklagten, Stellung zur ihm von Letzterer unterbreiteten Frage, ob anhand der Unterlagen Art. 8 Ziff. 12 AVB VVG angewendet werden könne (vgl. Urk. 9/15 S. 1). Dr. B.___ führte aus, nach Studium des Austrittsberichts bestehe ein klarer Zusammenhang zwischen der Hospitalisation und dem missbräuchlichen Konsum von Alkohol. Er sehe hier einen Anwendungsfall von Art. 8 Ziff. 12 AVB VVG als gegeben an. Das Z.___ habe bei Eintritt eine dekompensierte äthylische Leberzirrhose Child C diagnostiziert, dies bei einem persistierenden Konsum von 3.5 Litern Wein pro Tag. Zudem hätten sich vier grosse Ösophagus Varizen und ein massiver Aszites von acht Litern gezeigt, auch dies untrügliche Zeichen des Alkoholabusus. Damit sei der medizinische Zusammenhang hier klar belegt. Bei solch einem Alkoholkonsum müsse die Leber früher oder später dekompensieren und der Fall zeige exemplarisch, zu was ein übermässiger Alkoholkonsum führen könne.

4.

4.1    Strittig und zu prüfen ist, ob dem vom Z.___ für den Aufenthalt des Versicherten vom 20. November bis 17. Dezember 2019 in Rechnung gestellten Betrag Heilbehandlungen infolge missbräuchlichen Konsums von Alkohol im Sinne von Art. 8 Ziff. 12 AVB VVG zugrunde lagen.

4.2    Gemäss Austrittsbericht des Z.___ (vorstehend E. 3.2) wurde der Versicherte nach einem Stolpersturz sowie einer seit einigen Tagen eingetretenen Allgemeinzustandsverschlechterung mit Bauch- und Beinumfangsvermehrung über die letzten Tage notfallmässig hospitalisiert. In der Diagnoseliste nannten die Ärzte insgesamt sieben (Ober-)Diagnosen, wobei sie in der Epikrise - abgesehen von zwei als Nebenbefund erwähnten ausgeprägten Aneurysmata - (einzig) die erstgenannte (dekompensierte äthyltoxische Leberzirrhose CHILD C) samt den damit in Zusammenhang stehenden Befunden sowie die zweitgenannte (hepatorenales Syndrom) aufgriffen. Diese Leiden waren es denn auch, welche zu den in der Epikrise beschriebenen Behandlungsmassnahmen führten. Nebst einem Versuch zur Behandlung der deutlich eingeschränkten Nierenfunktion, welche die Ärzte am ehesten in Zusammenhang mit dem hepatorenalen Syndrom sahen, wurden insbesondere zweimal erhebliche Mengen Aszites abgelassen, als dessen Ursache die Ärzte die Leberzirrhose und die damit in Zusammenhang stehenden Befunde nannten. Damit steht klar fest, dass im Zentrum der Behandlung im Z.___ die dekompensierte äthyltoxische Leberzirrhose beziehungsweise die sich daraus ergebenden Komplikationen sowie das hepatorenale Syndrom standen, und dass die Hospitalisation des Versicherten auf diese Krankheitsbilder zurückzuführen war.

    Bei diagnostizierter äthyltoxischer, mithin alkoholtoxischer, Leberzirrhose und in der Diagnoseauflistung des Austrittsberichts zudem genannter chronischer Alkoholabhängigkeitserkrankung ist sodann ohne Zweifel davon auszugehen, dass der Substanzgebrauch des Versicherten zu den behandlungsbedürftigen Krankheitsbildern geführt hat. In diesem Zusammenhang hat die Beklagte auch zutreffend darauf hingewiesen, dass ein hepatorenales Syndrom, welches definiert wird als ein progressives Nierenversagen unbekannter Ätiologie ohne Ansprechen auf Volumengabe, eine häufige Komplikation bei Patienten mit Leberzirrhose und Aszites darstellt (vgl. Riemann/Fischbach/Galle/Mössner, Gastroenterologie, Band 2: Leber, Galle, Pankreas, Stuttgart 2008, S. 1482 und S. 1528). Mangels sich aus den Akten ergebenden Hinweisen auf eine andere renale Pathologie erscheint im Falle des Versicherten ein Zusammenhang zwischen der Niereninsuffizienz und der diagnostizierten äthyltoxischen Leberzirrhose überwiegend wahrscheinlich. Diese Annahme wird insofern durch die Beurteilung durch den Vertrauensarzt der Beklagten (vorstehend E. 3.3) gestützt, als auch dieser einen medizinischen Zusammenhang zwischen dem Alkoholkonsum und der dekompensierten Leberzirrhose mit vier grossen Ösophagusvarizen und massivem Aszites sah. Ob von einem – wie von ihm und der Beklagten postulierten missbräuchlichen Konsum im Sinne des den Versicherungsschutz ausschliessenden Art. 8 Ziff. 12 AVB VVG gesprochen werden kann, bleibt im Folgenden zu prüfen.

4.3    Die Klägerin bestritt in der Replik (vgl. vorstehend E. 2.4) unter Berufung auf Art. 33 VVG sowie die Unklarheitsregel (vgl. vorstehend E. 1.4) vorab die Gültigkeit der infrage stehenden Ausschlussklausel mit der Begründung, dass aufgrund des Wortlauts der Bestimmung nicht eindeutig festgestellt werden könne, wann in Bezug auf Alkoholkonsum von Missbrauch auszugehen sei (Urk. 16 S. 2 f. Ziff. 5).

    Gemäss Art. 33 VVG haftet der Versicherer für alle Ereignisse, welche die Merkmale der Gefahr, gegen deren Folgen Versicherung genommen wurde, in sich tragen, es sei denn, dass der Vertrag einzelne Ereignisse in bestimmter, unzweideutiger Fassung von der Versicherung ausschliesst. Dabei ist eine gefahrenbeschränkende Abrede nur insofern wirksam, als sie einzelne Ereignisse in bestimmter, unzweideutiger Fassung von der Versicherung ausschliesst. Ob diese Voraussetzung im konkreten Falle erfüllt ist, beurteilt sich in erster Linie nach der Bedeutung, die den verwendeten Wörtern im täglichen Sprachgebrauch üblicherweise zukommt (BGE 116 II 189 E. 2a).

    Der in der vorliegenden Ausschlussklausel verwendete Begriff des «missbräuchlichen Konsums» ist weder unbestimmt noch zweideutig. Missbräuchlichkeit beim Konsum von Alkohol ist im täglichen Sprachgebrauch üblicherweise dahingehend zu verstehen, dass ein übermässiger, über das sozialübliche Mass hinausgehender Konsum vorliegt. Davon erfasst sein kann sowohl ein einmaliger, aber auch ein chronischer und kontinuierlicher oder periodisch übermässiger Konsum, wie er im Allgemeinen unter der Bezeichnung Alkoholismus verstanden wird (vgl. Horst Dilling, Weltgesundheitsorganisation: Lexikon zur ICD-10-Klassifikation psychischer Störungen, Bern 2002, S. 9 Stichwort «Alkoholismus»). Damit steht Art. 33 VVG der Anwendbarkeit von Art. 8 Ziff. 12 AVB VVG nicht entgegen.

4.4    Die Ärzte des Z.___ diagnostizierten beim Versicherten (unter anderem) eine chronische Alkoholabhängigkeitserkrankung, welche Diagnose unbestritten ist. Diese Diagnose lässt darauf schliessen, dass der Alkoholkonsum des Versicherten chronisch und kontinuierlich übermässig war. Dies wird nicht zuletzt durch den Umstand untermauert, dass der Alkoholkonsum beim Versicherten eine irreversible Schädigung der Leber in Form einer äthyltoxischen Leberzirrhose zur Folge hatte.

    Offensichtlich ist zwar, dass die Feststellung des Vertrauensarztes, wonach der Versicherte persistierend 3.5 Liter Wein pro Tag konsumiere (vgl. vorstehend E. 3.3), falsch ist, oder zumindest nicht im Einklang mit den Angaben im (Kurz-)Austrittsbericht des Z.___ steht, ist dort doch von einem persistierenden Konsum von 3.5 Dezilitern Wein täglich die Rede (vgl. vorstehend E. 3.2). Dass bei diagnostizierter chronischer Alkoholabhängigkeitserkrankung und äthyltoxischer Leberzirrhose von einem missbräuchlichen, im Sinne eines übermässigen, über das sozialübliche Mass hinausgehenden, Alkoholkonsum auszugehen ist, kann jedoch als überwiegend wahrscheinlich erstellt gelten. Soweit die Klägerin unter Hinweis auf das Faktenblatt des BAG argumentierte, der Konsum des Versicherten habe an der unteren Grenze eines «chronisch risikoreichen Alkoholkonsums» gelegen, sei auf den von ihr eingereichten Bericht der Klinik C.___ vom 4. August 2017 (Urk. 2/15) verwiesen, wo in der Systemanamnese (S. 3 oben) der Konsum von 0.5 Liter Rotwein sowie einem Glas Whiskey täglich festgehalten wurde. Gemäss Faktenblatt des BAG entspricht dies einem Konsum von vier und mehr Standardgläsern Alkohol täglich (Reinalkohol >40g/Tag; vgl. Urk. 2/13 S. 2 oben), wie er im Jahr 2016 im Durchschnitt von (lediglich) 4.3 % der Männer betrieben wurde (vgl. Urk. 2/13 S. 1 oben). Nicht zuletzt auch vor diesem Hintergrund hat im Falle des Versicherten ein missbräuchlicher Konsum von Alkohol als überwiegend wahrscheinlich erstellt zu gelten, womit die stationäre Behandlung der durch den Alkoholkonsum herbeigeführten Krankheitsbilder von der Versicherungsdeckung der Zusatzversicherung «HOSPITA PRIVAT WELTWEIT» nicht erfasst ist.

    Aus dem Umstand, dass die Beklagte in der Vergangenheit bei bereits damals diagnostizierter (dekompensierter) Leberzirrhose (vgl. Urk. 2/14-17) offenbar Heilbehandlungskosten übernommen hat, kann die Klägerin in Bezug auf die vorliegend infrage stehenden Heilbehandlungen nichts zu ihren Gunsten ableiten.

4.5    Nach dem Gesagten ist die Leistungspflicht der Beklagten zu verneinen und die Klage dementsprechend abzuweisen.

5.

5.1    Gemäss Art. 114 lit. e ZPO ist das Verfahren kostenlos.

5.2    Die Beklagte machte Entschädigungsfolgen zulasten der Klägerin geltend (Urk. 8 S. 2 Ziff. I.). Die Prozessentschädigung an die Parteien ist nicht Gegenstand von Art. 114 lit. e ZPO (vgl. Urteil des Bundesgerichtes 4A_194/2010 vom 17. November 2010, E. 2.2.1, nicht publiziert in: BGE 137 III 47). Es gilt nach wie vor die Praxis des Bundesgerichts, dass dem nicht anwaltlich vertretenen Versicherungsträger grundsätzlich keine Parteientschädigung zusteht (vgl. Urteil des Bundesgerichts 4A_109/2013 vom 27. August 2013 E. 5). Da die Beklagte im vorliegenden Verfahren nicht durch einen externen Anwalt vertreten war, ist ihr für ihr Obsiegen keine Prozessentschädigung zuzusprechen.

Das Gericht erkennt:

1.    Die Klage wird abgewiesen.

2.    Das Verfahren ist kostenlos.

3.    Zustellung gegen Empfangsschein an:

- Rechtsanwalt Christoph Birgelen

- SWICA Krankenversicherung AG

- Eidgenössische Finanzmarktaufsicht FINMA

4.    Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit der Zustellung beim Bundesgericht Beschwerde in Zivilsachen nach Art. 72 ff. in Verbindung mit Art. 90 ff. des Bundesgesetzes über das Bundesgericht (BGG) eingereicht werden. Die Frist steht während folgender Zeiten still: vom siebten Tag vor Ostern bis und mit dem siebten Tag nach Ostern, vom 15. Juli bis und mit 15. August sowie vom 18. Dezember bis und mit dem 2. Januar (Art. 46 BGG).

    Die Beschwerdeschrift ist dem Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, zuzustellen.

    Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers oder seines Vertreters zu enthalten; der angefochtene Entscheid sowie die als Beweismittel angerufenen Urkunden sind beizulegen, soweit die Partei sie in Händen hat (Art. 42 BGG).

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich

Die VorsitzendeDie Gerichtsschreiberin

Grieder-MartensBarblan