Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich |
IV.2022.00110
IV. Kammer
Sozialversicherungsrichter Hurst, Vorsitzender
Sozialversicherungsrichterin Fankhauser
Ersatzrichter Sonderegger
Gerichtsschreiber Wyler
Urteil vom 21. Dezember 2022
in Sachen
X.___
Beschwerdeführerin
vertreten durch lic. iur. Y.___
Rechtsdienst Inclusion Handicap
Grütlistrasse 20, 8002 Zürich
gegen
Sozialversicherungsanstalt des Kantons Zürich, IV-Stelle
Röntgenstrasse 17, Postfach, 8087 Zürich
Beschwerdegegnerin
Sachverhalt:
1. X.___, geboren 1978, verheiratet, Mutter einer Tochter (geboren 2003; Urk. 7/1), meldete sich am 12. Juni 2007 (Eingangsdatum) unter Hinweis auf eine Borderline-Persönlichkeitsstörung, eine posttraumatische Belastungsstörung sowie Bulimie bei der Sozialversicherungsanstalt des Kantons Zürich, IV-Stelle, zum Leistungsbezug an (Urk. 7/1). Die IV-Stelle sprach der Versicherten mit Verfügung vom 24. Juli 2008 mit Wirkung ab 1. Januar 2007 eine ganze Rente und mit Wirkung ab 1. Oktober 2007 eine Dreiviertelsrente zu (Urk. 7/31, Urk. 7/28).
Mit Verfügung vom 9. Juli 2009 setzte die IV-Stelle die bisherige Dreiviertelsrente zufolge Verbesserung des Gesundheitszustands der Versicherten per 1. September 2009 auf eine halbe Rente herab (Urk. 7/41, Urk. 7/40). Im Rahmen eines Rentenrevisionsverfahrens bestätigte die IV-Stelle am 22. Juni 2012 einen unveränderten Anspruch auf eine halbe Rente (Urk. 7/82). Am 16. Januar 2014 teilte die Versicherte der IV-Stelle mit, dass sie per 1. Januar 2014 eine neue Stelle bei der Z.__ angetreten habe (Urk. 7/87). Nachdem die IV-Stelle weitere erwerbliche Abklärungen getätigt hatte, setzte sie mit Verfügung vom 12. Juni 2014 die bisherige halbe Rente per 1. August 2014 auf eine Viertelsrente herab (Urk. 7/102, Urk. 7/101).
Nachdem die Versicherte mit Urteil des Bezirksgerichts Horgen vom 6. Oktober 2015 geschieden worden war (Urk. 7/140), berechnete die IV-Stelle mit Verfügung vom 29. Februar 2016 die Rentenhöhe neu (Urk. 7/116). Mit Verfügung vom 3. März 2016 (Urk. 7/118) gewährte die IV-Stelle der Versicherten Beratung und Unterstützung bei der Stellensuche bzw. der Erhaltung der Anstellung in Form eines Job Coachings durch die A.___ GmbH. Am 1. Mai 2016 trat die Versicherte eine neue Anstellung bei B.___ an (Urk. 7/125, Urk. 7/126). Mit Verfügung vom 30. August 2016 erklärte die IV-Stelle, bis am 25. August 2017 für ein Job Coaching durch die A.___ GmbH aufzukommen (Urk. 7/128). Nach erneuter revisionsweiser Überprüfung des Rentenanspruchs hob die IV-Stelle mit Verfügung vom 12. Dezember 2016 die bisherige Viertelsrente der Versicherten auf das Ende des darauffolgenden Monats auf (Urk. 7/143). Die von der Versicherten dagegen erhobene Beschwerde (Urk. 7/146/3-17) wies das hiesige Gericht mit Urteil vom 23. August 2018 ab (Urk. 7/160).
1.2 Am 8. Juli 2019 (Eingangsdatum) meldete sich die Versicherte erneut bei der IV-Stelle zum Leistungsbezug an (Urk. 7/161, Urk. 7/162). Nachdem die Versicherte der IV-Stelle diverse medizinische Unterlagen eingereicht hatte (Urk. 7/170,
vgl. Urk. 7/169), sprach ihr diese ab Juli 2019 eine Übergangsleistung entsprechend einer Viertelsrente zu (Urk. 7/173, Urk. 7/174, Urk. 7/178-183). Die IV-Stelle nahm weitere medizinische und erwerbliche Abklärungen vor (Urk. 7/176, Urk. 7/186, Urk. 7/189) und teilte am 8. November 2019 mit, dass derzeit Eingliederungsmassnahmen nicht möglich seien (Urk. 7/191). In der Folge nahm die IV-Stelle weitere Abklärungen vor (Urk. 7/199, Urk. 7/203, Urk. 7/210, Urk. 7/221). Nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren (Urk. 7/225; Urk. 7/231, Urk. 7/240) hob die IV-Stelle mit Verfügung vom 21. Januar 2022 die Übergangsleistungen per Ende Januar 2022 auf und sprach der Versicherten ab 1. Februar 2022 eine ganze Invalidenrente zu (Urk. 2).
2. Dagegen liess die Versicherte mit Eingabe vom 23. Februar 2022 (Urk. 1) Beschwerde erheben und beantragen, es sei ihr bereits ab Januar 2020 und nicht erst ab Februar 2022 die ganze Invalidenrente auszurichten. Die Beschwerdegegnerin beantragte mit Beschwerdeantwort vom 5. April 2022 die Abweisung der Beschwerde (Urk. 6), was der Beschwerdeführerin mit Verfügung vom 12. April 2022 angezeigt wurde (Urk. 8).
3. Auf die Vorbringen der Parteien und die eingereichten Akten wird, soweit erforderlich, im Rahmen der nachfolgenden Erwägungen eingegangen
Das Gericht zieht in Erwägung:
1. Gestützt auf die Akten ist ausgewiesen (Urk. 7/170, Urk. 7/189, Urk. 7/199, Urk. 7/203, Urk. 7/210, Urk. 7/236-237; Urk. 7/221; Urk. 7/176, Urk. 7/186) und zwischen den Parteien unstrittig (vgl. Urk. 1; Urk. 2, Urk. 6), dass sich der Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin seit Herbst 2018 verschlechtert hat und sie in der Ausübung einer Erwerbstätigkeit sowie der Tätigkeit im Aufgabenbereich Haushalt in einem Masse eingeschränkt ist, dass ein Invaliditätsgrad vorliegt, welcher Anspruch auf eine ganze Invalidenrente begründet. Weiter steht fest und ist unstrittig, dass die Beschwerdeführerin einen Anspruch auf eine Übergangsleistung hat, welcher durch den Anspruch auf eine ganze Rente abgelöst wird. Strittig zwischen den Parteien und zu prüfen ist hingegen, ab welchem Zeitpunkt die Beschwerdegegnerin der Beschwerdeführerin eine ganze Invalidenrente auszurichten hat.
2.
2.1 Die Beschwerdegegnerin erklärte zur Begründung ihres Entscheides, dass (erst) ab dem 1. Februar 2022 Anspruch auf eine ganze Invalidenrente bestehe, im Wesentlichen (Urk. 2), Art. 32 Abs. 2 und Art. 34 Abs. 3 (gemeint wohl: Art. 34 Abs. 2) des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung (IVG) sagten aus, dass die Übergangsleistungen durch die neue IV-Rente am ersten Tag des Monates, der ihrem Entscheid über den Invaliditätsgrad folge, für die Zukunft erhöht werde. Die ganze Rente werde somit ab dem Monat, der ihrer Verfügung folge, ausgerichtet.
2.2 Die Beschwerdeführerin brachte dagegen im Wesentlichen vor (Urk. 1), nachdem die Verschlechterung des Gesundheitszustandes im Oktober 2018 eingetreten sei und sie ihr Gesuch auf Überprüfung des IV-Grades im Juli 2019, also neun Monate nach Verschlechterung, eingereicht habe, hätte sie sowohl im Falle einer Neuanmeldung (Art. 28 IVG) wie auch im Falle eines Wiederauflebens der Invalidität gemäss Art. 29bis der Verordnung über die Invalidenversicherung (IVV) sechs Monate nach der Gesuchstellung, das heisse ab Januar 2020, Anspruch auf eine ganze Rente. Vor diesem Hintergrund wirke absolut stossend, dass ihr die ganze Rente erst ab dem 1. Februar 2022 zugesprochen werde. Es sei grundsätzlich zutreffend, dass das Gesetz unter den Bestimmungen zur Übergangsleistung rein vom Wortlaut her festhalte, dass, sofern der Invaliditätsgrad erneut ein rentenbegründendes Ausmass erreiche, der Rentenanspruch am ersten Tag des Monats, der dem Entscheid über den Invaliditätsgrad folge, entstehe (Art. 34 Abs. 2 lit. a IVG). Es müsse jedoch davon ausgegangen werden, dass es nicht Absicht des Gesetzgebers gewesen sei, eine versicherte Person mit einem Anspruch auf Übergangsleistungen, bei der es mit der Einstellung der Übergangsleistungen zu einer erneuten Rentenzusprache komme, schlechter zu stellen als Versicherte, welche eine Neuanmeldung eingereicht oder ein Wiederaufleben der Invalidität geltend gemacht hätten. Aus der Botschaft zur Änderung des IVG (6. IV-Revision, erstes Massnahmepaket) vom 24. Februar 2010 zu Art. 34 ergebe sich, dass der Gesetzgeber von kurzen Abklärungszeiten ausgegangen sei. Ganz offensichtlich habe der Gesetzgeber nicht im Blick gehabt, dass die Abklärung des Invaliditätsgrades ebenso lange dauern könnte wie Invaliditätsgradabklärungen ganz generell, sich also über Monate hinziehen könnten. Es müsse davon ausgegangen werden, dass es sich dabei, dass der Gesetzgeber keine Regelung zum Rentenanspruchsbeginn für Fälle getroffen habe, in welchen die neue Rente höher als die Übergangsleistung ausfalle und eine versicherte Person aufgrund einer ungebührlichen Abklärungsdauer gegenüber Versicherten, die eine Neuanmeldung eingereicht oder ein Wiederaufleben der Invalidität geltend gemacht hätten, schlechter gestellt werde, um eine echte Lücke handle. Insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt, dass das Institut der Übergangsleistung einen Anreiz für Rentenbezüger und –bezügerinnen darstellen soll, um wieder eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, könne es keinesfalls in der Absicht des Gesetzgebers gewesen sein, Versicherte, die aus eigenem Antrieb ihr Erwerbspensum erhöhten und dadurch eine Rentenherabsetzung in Kauf nähmen, im Falle einer erneuten Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes schlechter zu stellen als versicherte Personen, die trotz einer Verbesserung ihres Gesundheitszustandes keine Erwerbstätigkeit aufnähmen. Es fehle auch an jeglichem sachlichen Grund für eine entsprechende Ungleichbehandlung, weshalb darin eine Verletzung des Anspruchs auf Gleichbehandlung bzw. Rechtsgleichheit gesehen werden müsse. Es sei ihr deshalb spätestens sechs Monate nach ihrem Antrag auf erneute Prüfung des Rentenanspruchs, das heisse ab Januar 2020, die ganze Rente auszurichten.
3.
3.1 Anspruch auf eine Rente haben gemäss Art. 28 Abs. 1 IVG Versicherte, die:
a) ihre Erwerbsfähigkeit oder die Fähigkeit, sich im Aufgabenbereich zu betätigen, nicht durch zumutbare Eingliederungsmassnahmen wieder herstellen, erhalten oder verbessern können;
b) während eines Jahres ohne wesentlichen Unterbruch durchschnittlich mindestens 40 % arbeitsunfähig (Art. 6 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts, ATSG) gewesen sind; und
c) nach Ablauf dieses Jahres zu mindestens 40 % invalid (Art. 8 ATSG) sind.
Der Rentenanspruch entsteht frühestens nach Ablauf von sechs Monaten nach Geltendmachung des Leistungsanspruchs nach Art. 29 Abs. 1 ATSG, jedoch frühestens im Monat, der auf die Vollendung des 18. Altersjahres folgt (Art. 29 Abs. 1 IVG).
3.2 Wurde die Rente nach Verminderung des Invaliditätsgrades aufgehoben, erreicht dieser jedoch in den folgenden drei Jahren wegen einer auf dasselbe Leiden zurückzuführenden Arbeitsunfähigkeit erneut ein rentenbegründendes Ausmass, so werden gemäss Art. 29bis IVV bei der Berechnung der Wartezeit nach Art. 28 Abs. 1 lit. b IVG früher zurückgelegte Zeiten angerechnet. Sinn und Zweck von Art. 29bis IVV ist, den Rentenanspruch einer versicherten Person, die zwischenzeitlich ein rentenausschliessendes Erwerbseinkommen erzielen konnte, wiederaufleben zu lassen, wenn sich innert dreier Jahre auf Grund desselben Leidens wieder eine höhere Arbeitsunfähigkeit ergibt (BGE 117 V 23 E. 3b, Urteil des Bundesgerichts 8C_25/2010 vom 21. Mai 2010 E. 4.1.1).
Art. 29bis IVV ist nicht anwendbar, wenn nach Ablauf der Wartezeit kein rentenbegründender Invaliditätsgrad vorlag. Diesfalls ist die nachfolgende gesundheitliche Verschlechterung als neuer Versicherungsfall zu betrachten mit der Folge, dass die Wartezeit erneut zu bestehen ist (BGE 142 V 547 E. 3.1).
3.3
3.3.1 Gemäss Art. 32 IVG hat eine versicherte Person Anspruch auf eine Übergangsleistung, wenn:
a) sie im Laufe der drei auf die Herabsetzung oder Aufhebung einer Rente folgenden Jahre zu mindestens 50 % arbeitsunfähig wird;
b) die Arbeitsunfähigkeit mindestens 30 Tage gedauert hat und weiter andauert; und
c) sie vor Herabsetzung oder Aufhebung der Rente an Massnahmen zur Wiedereingliederung nach Art. 8a teilgenommen hat oder die Rente wegen der Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit oder der Erhöhung des Beschäftigungsgrades herabgesetzt oder aufgehoben wurde.
Der Anspruch entsteht am Anfang des Monats, in welchem die Voraussetzungen nach Abs. 1 erfüllt sind.
Der Anspruch erlischt spätestens am Ende des Monats, in dem die IV-Stelle über den Invaliditätsgrad entschieden hat (Art. 34).
3.3.2 Laut Art. 33 IVG entspricht die Übergangsleistung nach Art. 32
a) der Differenz zwischen der laufenden Rente und der Rente, die die versicherte Person erhalten würde, wenn die Rente nicht herabgesetzt worden wäre;
b) der Rente, die die versicherte Person erhalten würde, wenn die Rente nicht aufgehoben worden wäre.
Hat eine versicherte Person Anspruch auf eine Kinderrente, so wird diese in die Berechnung nach Abs. 1 einbezogen.
3.3.3 Gemäss Art. 34 IVG leitet die IV-Stelle gleichzeitig mit der Gewährung einer Übergangsleistung nach Art. 32 die Überprüfung des Invaliditätsgrades ein.
Am ersten Tag des Monats, der dem Entscheid der IV-Stelle über den Invaliditätsgrad folgt:
a) entsteht in Abweichung von Art. 28 Abs. 1 lit. b ein Rentenanspruch, sofern der Invaliditätsgrad erneut ein rentenbegründendes Ausmass erreicht;
b) wird eine bestehende Rente für die Zukunft erhöht, herabgesetzt oder aufgehoben, sofern sich der Invaliditätsgrad erheblich geändert hat.
3.4 Das Gesetz muss in erster Linie aus sich selbst heraus, das heisst nach dem Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zugrunde liegenden Wertungen auf der Basis einer teleologischen Verständnismethode ausgelegt werden. Die Gesetzesauslegung hat sich vom Gedanken leiten zu lassen, dass nicht schon der Wortlaut die Norm darstellt, sondern erst das an Sachverhalten verstandene und konkretisierte Gesetz. Gefordert ist die sachlich richtige Entscheidung im normativen Gefüge, ausgerichtet auf ein befriedigendes Ergebnis der ratio legis. Dabei befolgt das Bundesgericht einen pragmatischen Methodenpluralismus und lehnt es namentlich ab, die einzelnen Auslegungselemente einer hierarchischen Ordnung zu unterstellen. Insbesondere bei jüngeren Gesetzen sind auch die Gesetzesmaterialien zu beachten, wenn sie auf die streitige Frage eine klare Antwort geben und dem Gericht damit weiterhelfen.
Die Ermittlung der ratio legis darf nicht nach den eigenen, subjektiven Wertvorstellungen des Gerichts, sondern hat nach den Vorgaben des Gesetzgebers zu erfolgen. Der Balancegedanke des Prinzips der Gewaltenteilung bestimmt nicht allein die Gesetzesauslegung im herkömmlichen Sinn, sondern er führt darüber hinaus zur Massgeblichkeit der bei der Auslegung gebräuchlichen Methoden auf den Bereich richterlicher Rechtsschöpfung, indem ein vordergründig klarer Wortlaut einer Norm entweder auf dem Analogieweg auf einen davon nicht erfassten Sachverhalt ausgedehnt oder umgekehrt auf einen solchen Sachverhalt durch teleologische Reduktion nicht angewandt wird. Die Auslegung des Gesetzes ist zwar nicht entscheidend historisch zu orientieren, im Grundsatz aber dennoch auf die Regelungsabsicht des Gesetzgebers und die damit erkennbar getroffenen Wertentscheidungen auszurichten, da sich die Zweckbezogenheit des rechtsstaatlichen Normverständnisses nicht aus sich selbst begründen lässt, sondern aus den Absichten des Gesetzgebers abzuleiten ist, die es mit Hilfe der herkömmlichen Auslegungselemente zu ermitteln gilt. Das Gesetzesbindungspostulat schliesst für sich allein richterliche Entscheidungsspielräume nicht grundsätzlich aus. Es begrenzt indes die Zulässigkeit der Rechtsfindung contra verba aber secundum rationem (BGE 140 I 305 E. 6.2, Urteil des Bundesgerichts 8C_46/2017 vom 7. August 2017 E. 4 mit Hinweisen).
4.
4.1 Die Beschwerdegegnerin richtete der Beschwerdeführerin ab dem 1. Juli 2019 eine Übergangsleistung in Höhe einer Viertelsrente aus (Urk. 7/173, Urk. 7/174, Urk. 7/178-183; vgl. Art. 33 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 IVG). Nachdem die Beschwerdeführerin sich am 8. Juli 2019 bei der Beschwerdegegnerin zum Leistungsbezug angemeldet hat (Urk. 7/161, Urk. 7/162) und sich ihr Gesundheitszustand unbestrittenermassen seit Herbst 2018 verschlechtert hatte (Urk. 1, Urk. 2), erfüllte sie gemäss Art. 28 Abs. 1 lit. b IVG bzw. Art. 29bis IVV in Verbindung mit Art. 29 Abs. 1 IVG ab 1. Januar 2020 grundsätzlich die Voraussetzungen für den Bezug einer ganzen Invalidenrente (vgl. E. 3.1 und E. 3.2). Aus dem Wortlaut von Art. 34 Abs. 2 lit. a IVG ergibt sich jedoch, dass beim Bezug einer Übergangsleistung ein Rentenanspruch (erst) am ersten Tag des Monats entsteht, der dem Entscheid der IV-Stelle über den Invaliditätsgrad folgt. Eine Auslegung von Art. 34 Abs. lit. a IVG gemäss dem reinen Wortlaut bedeutet im Falle der Beschwerdeführerin somit eine Schlechterstellung gegenüber Personen, welche keine Übergangsleistung bezogen haben.
4.2
4.2.1 Die Übergangsleistung wurde mit der 6. IV-Revision, erstes Massnahmepaket, per 1. Januar 2012 eingeführt. Mit dieser Revision sollte gemäss Botschaft des Bundesrates unter anderem mit der eingliederungsorientierten Rentenrevision die Wiedereingliederung aktiv gefördert und dadurch die Zahl der Renten reduziert werden. Rentenbezügerinnen und -bezüger mit Eingliederungspotenzial sollten durch persönliche Beratung, Begleitung und weitere spezifische Massnahmen gezielt auf eine Wiedereingliederung vorbereitet werden. Ergänzend sollten aber auch verschiedene Schutzmechanismen geschaffen werden: Besitzstand der Rente während der Durchführung von Massnahmen, Regelung bei erneuter Verschlechterung der Situation nach erfolgreicher Eingliederung, Koordination mit andern Versicherungen (insbesondere berufliche Vorsorge, Unfall- und Arbeitslosenversicherung; vgl. BBl 2010 1818).
Betreffend Art. 32 IVG ist der Botschaft des Bundesrates zu entnehmen (BBl 2010 1896): «Mit dieser Regelung wird sichergestellt, dass im Falle einer erneuten gesundheitsbedingten Leistungseinbusse während drei Jahren nach Herabsetzung oder Aufhebung einer Rente rasch und unkompliziert eine Übergangsleistung in Form einer Rente ausgerichtet wird. Dadurch wird für die versicherte Person die Sicherheit geschaffen, dass sie während drei Jahren weitgehend finanziell gleichgestellt ist, wie wenn sie den Schritt der Wiedereingliederung nicht gewagt hätte (Höhe der Übergangsleistung, vgl. Art. 33).»
Zum vorliegend insbesondere auszulegenden Art. 34 IVG ist der Botschaft zu entnehmen (BBl 2010 1898): «Wird nach Artikel 32 eine Übergangsleistung ausgerichtet, leitet die IV-Stelle – gleichzeitig mit der Gewährung der Leistung – die Überprüfung des Invaliditätsgrades ein. Die Zeitspanne zwischen dem Beginn der Ausrichtung der Übergangsleistung und dem Entscheid der IV-Stelle über den Invaliditätsgrad sollte möglichst kurz sein, weshalb solche Fälle von den IV-Stellen prioritär zu behandeln sind. Da die berufliche Vorsorge in Koordination mit der vorgesehenen Regelung der IV ebenfalls eine Schutzregelung vorsieht, ist die Information über den Entscheid der IV-Stelle über den Invaliditätsgrad an die zuständige Vorsorgeeinrichtung von zentraler Bedeutung.»
4.2.2 In der parlamentarischen Diskussion war die Ausgestaltung der Übergangsleistung bezüglich zweier Punkte Gegenstand von Diskussionen. Diese betrafen beide Art. 32 Abs. 1 lit. a IVG, wurde doch beantragt, es soll in Abweichung zum bundesrätlichen Entwurf ein Anspruch auf eine Übergangsleistung bestehen, wenn die versicherte Person im Laufe der fünf (statt drei) auf die Herabsetzung oder Aufhebung einer Rente folgenden Jahre zu mindestens 40 % (statt 50 %) arbeitsunfähig wird (vgl. Amtl. Bull. 2010 N 2097 ff.). Die Nationalräte Cassis und Wehrli beantragten im Namen der Kommission die Abweisung dieser Anträge. Nationalrat Cassis führte dazu unter anderem aus (BBl 2010 2099): «Cette disposition garantit qu'en cas de nouvelle diminution de la capacité de travail pour raisons de santé, dans les trois ans après la réduction ou la suppression d'une rente, une prestation transitoire sous forme de rente est accordée rapidement et sans tracasseries administratives. De la sorte, l'assuré a pendant trois ans la garantie de ne pas être fortement désavantagé sur le plan financier pour avoir tenté de se réinsérer». Nationalrat Wehrli erklärte (Amtl. Bull. 2010 N 2099): «Die Revision 6a hat zum Ziel, dass Menschen, die heute eine IV-Rente beziehen, wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden. Dieser Schritt bedarf auch aufseiten der Betroffenen einer gewissen Absicherung. Wer den Mut zur Veränderung aufbringt, der soll während einer bestimmten Zeit abgesichert sein. So können Ängste überwunden werden. Bundesrat, Ständerat und Kommissionsmehrheit stehen dieser Hilfeleistung, dieser Abfederung, so, wie sie in Artikel 32 neu verankert wird, positiv gegenüber. […] Dieser Ausweitung steht die Kommission ganz klar negativ gegenüber. Sie ist der Ansicht, dass das neue Instrument gemäss Ständerat bzw. Bundesrat ausreichend ist.» Der Nationalrat folgte dem Antrag der Kommission (Amtl. Bull. 2010 N 2099). Betreffend Ende des Anspruchs auf eine Übergangsleistung bzw. Beginn des Rentenanspruchs fand in den Räten keine Diskussion statt.
4.3 Aus der Botschaft des Bundesrates sowie der parlamentarischen Diskussion ergibt sich, dass mit der Einführung der Übergangsleistung bezweckt wurde, die Wiedereingliederung insoweit zu fördern, dass Personen, welche eine Wiedereingliederung anstreben, im Falle einer erneuten gesundheitsbedingten Leistungseinbusse während drei Jahren nach Herabsetzung oder Aufhebung einer Rente die Sicherheit haben, dass sie weitgehend finanziell gleichgestellt sind, wie wenn sie den Schritt der Wiedereingliederung nicht gewagt hätten. Würde nun Art. 34 Abs. 2 lit. a IVG so ausgelegt, dass der Rentenanspruch beim Bezug einer Übergangsleistung auch später entstehen kann, als wenn keine Übergangsleistung bezogen worden wäre, würde dies dem Zweck der Übergangsleistung zuwiderlaufen. Weder der Bundesrat noch das Parlament scheint betreffend Art. 34 Abs. 2 lit. a IVG von einer Konstellation ausgegangen zu sein, welche eine Schlechterstellung der versicherten Person zur Folge haben könnte. So ergibt sich aus den Ausführungen des Bundesrates zu Art. 34 IVG denn auch, dass möglichst schnell ein Entscheid über den Anspruch auf eine Invalidenrente angestrebt werden soll. Mit einem schnellen Entscheid dürfte einerseits bezweckt werden, dass bei einer Verneinung einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes und somit eines erneuten Rentenanspruchs nur kurzfristig Leistungen ausbezahlt werden (vgl. BBl 2010 1879 betreffend massgebende Arbeitsunfähigkeit), anderseits aber auch, dass die mit der Einführung der Übergangsleistung beabsichtigte Schutzwirkung von Personen, die eine Wiedereingliederung anstrebten, möglichst erreicht wird.
Aus dem Gesagten ergibt sich, dass eine Auslegung von Art. 34 Abs. 2 lit. a IVG nach dem reinen Wortlaut, das heisst, dass die Übergangsleistung in jedem Fall erst ab dem dem Entscheid der IV-Stelle folgenden Monat durch eine Invalidenrente abgelöst wird, dem Zweck der Übergangsleistung zuwiderlaufen würde. Da gestützt auf die Materialien davon auszugehen ist, dass weder der Bundesrat noch das Parlament eine solche zweckwidrige Regelung beabsichtigten, und nachdem die IVV zum Zeitpunkt des Rentenbeginns bei Bezug einer Übergangsleistung keine Bestimmungen enthält, rechtfertig es sich, Art. 34 Abs. lit. a IVG im Sinne einer teleologischen Reduktion nur für Fälle anzuwenden, in welchen dies eine Besserstellung der versicherten Personen zu Folge hat.
Nichts anderes ergibt sich im Übrigen aus dem Kreisschreiben über die Schutzfrist (KSSF) des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV). Dieses enthält keine Ausführungen dazu, wie zu verfahren ist, wenn der Entscheid der Invalidenversicherung über einen höheren Rentenanspruch einer versicherten Person, welche eine Übergangsleistung bezieht, erst erfolgt, nachdem in Anwendung von Art. 28 Abs. 1 lit. b IVG bzw. Art. 29bis IVV und Art. 29 Abs. 1 IVG bereits ein Rentenanspruch entstanden war. Es fällt aber auf, dass in Rz. 1016 festgehalten ist, dass bei einer Rentenzusprache gemäss Art. 34 Abs. 2 IVG Art. 29 Abs. 1 IVG nicht anwendbar ist. Dies lässt darauf schliessen, dass auch das BSV Art. 34 Abs. 2 IVG einzig so interpretierte, dass eine Besserstellung der versicherten Person erreicht werden soll.
4.4 Nach dem Gesagten hat die Beschwerdeführerin in Anwendung von Art. 28 Abs. 1 lit. b IVG bzw. Art. 29bis IVV und Art. 29 Abs. 1 IVG ab 1. Januar 2020 Anspruch auf eine ganze Invalidenrente hat. Die Übergangsleistung ist bis zu diesem Zeitpunkt auszurichten.
5.
5.1 Da es im vorliegenden Verfahren um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen geht, ist das Verfahren kostenpflichtig. Die Gerichtskosten sind nach dem Verfahrensaufwand und unabhängig vom Streitwert festzulegen (Art. 69 Abs. 1bis des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung, IVG) und auf Fr. 600.-- anzusetzen. Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens sind sie der Beschwerdegegnerin aufzuerlegen.
5.2 Nach § 34 Abs. 1 des Gesetzes über das Sozialversicherungsgericht (GSVGer) hat die obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz der Parteikosten. Die Höhe der gerichtlich festzusetzenden Entschädigung bemisst sich nach der Bedeutung der Streitsache, der Schwierigkeit des Prozesses und dem Mass des Obsiegens, jedoch ohne Rücksicht auf den Streitwert (§ 34 Abs. 3 GSVGer). Als weitere Bemessungskriterien nennt § 7 der Verordnung über die Gebühren, Kosten und Entschädigungen vor dem Sozialversicherungsgericht (GebV SVGer) den Zeitaufwand und die Barauslagen. In Anwendung dieser Kriterien ist die Prozessentschädigung ermessensweise auf Fr. 1’400.-- (inklusive Barauslagen und Mehrwertsteuer) festzusetzen und ausgangsgemäss der unterliegenden Beschwerdegegnerin aufzuerlegen.
Das Gericht erkennt:
1. In Gutheissung der Beschwerde wird die angefochtene Verfügung der Sozialversicherungsanstalt des Kantons Zürich, IV-Stelle, vom 21. Januar 2022 aufgehoben und festgestellt, dass die Beschwerdeführerin ab dem 1. Januar 2020 Anspruch auf eine ganze Invalidenrente hat. Die Übergangsleistung wird per 31. Dezember 2019 aufgehoben.
2. Die Gerichtskosten von Fr. 600.-- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. Rechnung und Einzahlungsschein werden der Kostenpflichtigen nach Eintritt der Rechtskraft zugestellt.
3. Die Beschwerdegegnerin wird verpflichtet, der Beschwerdeführerin eine Prozessentschädigung von Fr. 1’400.-- (inkl. Barauslagen und MWSt) zu bezahlen.
4. Zustellung gegen Empfangsschein an:
- lic. iur. Y.___
- Sozialversicherungsanstalt des Kantons Zürich, IV-Stelle
- Bundesamt für Sozialversicherungen
sowie an:
- Gerichtskasse (im Dispositiv nach Eintritt der Rechtskraft)
5. Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit der Zustellung beim Bundesgericht Beschwerde eingereicht werden (Art. 82 ff. in Verbindung mit Art. 90 ff. des Bundesgesetzes über das Bundesgericht, BGG). Die Frist steht während folgender Zeiten still: vom siebten Tag vor Ostern bis und mit dem siebten Tag nach Ostern, vom 15. Juli bis und mit 15. August sowie vom 18. Dezember bis und mit dem 2. Januar (Art. 46 BGG).
Die Beschwerdeschrift ist dem Bundesgericht, Schweizerhofquai 6, 6004 Luzern, zuzustellen.
Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers oder seines Vertreters zu enthalten; der angefochtene Entscheid sowie die als Beweismittel angerufenen Urkunden sind beizulegen, soweit die Partei sie in Händen hat (Art. 42 BGG).
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich
Der VorsitzendeDer Gerichtsschreiber
HurstWyler